„Ich verspüre beinahe eine Lust,
und zwar eine physische Lust, wenn ich denke, dass die Dinge, mit denen ich
mich beschäftige, über mich hinweggehen, durch mich hindurchgehen, dass es tausend
Personen, tausend Bücher gibt, die in Arbeit sind, tausend Personen, die
sprechen, tausend Dinge, die geschehen und wiederaufnehmen.“ Michel Foucault
Arne bloggt gerade eine spannende Reihe über das Buch ‚Social
Self’ von Stanley Grenz, dabei kam auch die Subjektkritik von Foucault zur
Sprache. Diese wurde häufig missverstanden, so als ob seine Subjektkritik eine
Kritik an der Existenz der Menschen sei bzw. er gerade deren Existenz verleugne.
Dies ist natürlich Humbug, Foucault richtete sich mit seinen Arbeiten nicht
gegen reale Subjekte, sondern gegen eine spezifische ‚Denkfigur’. Mit anderen
Worten: In unserer westlich-modernen Kultur verstehen wir uns als Subjekte,
auch dann, wenn wir dieses Wort nicht benutzen. Was das bedeutet und wie dies
zu verstehen ist, möchte ich im Folgenden erläutern.
Zuerst einmal ist es ganz hilfreich zu wissen, dass, besonders
zu Beginn seiner ‚Arbeiten’, also in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, sich
Foucault im Bunde einer ganzen Reihe von hochkarätigen Denkern sah, die von der
Hoffnung getrieben waren, das Denken der Menschen vom Menschen grundlegend zu
revolutionieren. Zu diesen Subjektkritikern gehörten als (zeitliche) Vordenker
Nietzsche, Bataille, Blanchot und Klossowski, sowie als Zeitgenossen Lacan,
Lévi-Strauss, Barthes und Althusser. Trotz aller Unterschiede stimmten diese in
einem grundlegenden Punkt überein, nämlich darin, „dass man nicht von dem
Subjekt ausgehen sollte, vom Subjekt im Sinne Descartes´ als einem
Ursprungsort, von dem alles erzeugt werden sollte, sondern dass das Subjekt
selbst eine Genese hat“.
Bekanntestes Beispiel für die genannten Missverständnisse
über Foucaults Subjektkritik ist seine These vom Verschwinden des Menschen, die
seinem Buch „Die Ordnung der Dinge“ vorgebracht wird. In diesem Buch untersucht
er die historischen Veränderungen in verschiedenen Feldern des Denkens
(Sprache, Geld und Naturgeschichte). Dabei fielen ihm zwei Dinge auf: „die
Plötzlichkeit und die Gründlichkeit, mit der bestimmte Wissenschaften manchmal
reorganisiert wurden; und die Tatsache, dass zur gleichen Zeit ähnliche
Veränderungen in offensichtlich sehr verschiedenen Disziplinen auftraten“. Diese
plötzlichen, gleichzeitigen Umbrüche in den Ordnungen des Wissens und damit
auch der Art und Weise des Denkens über die Welt und sich, nennt Foucault ‚Episteme’.
Am Ende des 18. Jahrhunderts sieht Foucault in den
wissenschaftlichen Diskursen die ‚Episteme’ Mensch auftauchen. Obwohl der
Mensch schon zuvor von den Naturwissenschaften als ein Gattungswesen behandelt
wurde, gab es jedoch noch „kein erkenntnistheoretisches Bewusstsein vom
Menschen als solchem“. „Der Mensch als dichte und ursprüngliche Realität, als
schwieriges Objekt und souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis“ fand in
der klassischen ‚Episteme’ (so der Name der vorhergehenden Episteme) keinen
Platz. Erst mit dem Aufkommen der neuen ‚Episteme’ Mensch wurde der Mensch „die
Grundlage aller Positivitäten“ und damit zu dem, von dem aus „jede Erkenntnis
in ihrer unmittelbaren und nicht problematisierten Evidenz gebildet werden
konnte“. Der Mensch – als das, „was man denken muss“ und „was zu wissen ist“ –
wurde seit Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem „historischen Apriori“, das
seit dem „als fast evidenter Boden für unser Denken dient“.
Trotz dieser Evidenz prophezeite Foucault am Ende seines
Buches, „dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“.
Was Foucault – unter anderem – in „Die Ordnung der Dinge“ zeigt, ist also, wie
sich in bestimmten von ihm untersuchten wissenschaftlichen Diskursen ein
bestimmtes Wissen, eine bestimmte Figur des Denkens der Menschen vom
‚Menschen’, nämlich der Mensch als ‚Subjekt’ und ‚Objekt’ (Humanwissenschaften)
der Erkenntnis, ausbildet und evident wird. Die Vorherrschaft dieser Denkfigur
sieht Foucault jedoch im Zuge der Bewegung, in der er sich selbst sieht,
schwinden und kündet einen weiteren Wechsel in den Epistemen an. Später
revidiert er diese Ansicht: „Als ich in der Ordnung
der Dinge diesen Tod als etwas dargestellt habe, das sich in unserer Epoche
vollzieht, habe ich mich getäuscht.“
Die oben kurz dargestellte These vom ‚Verschwinden des
Subjekts’ löst jedoch bis heute eine Reihe von Missverständnissen aus. So
behaupteten z.B. Soziologen, dass bei Foucault der Mensch sich durch
Entgrenzung in seine Einzelteile auflöse, ohne je wieder zur seiner
biographischen Entität zurückzufinden. Wogegen Foucault sich jedoch wendet ist
zweierlei:
Auf der einen Seite richtet er sich gegen die Festlegung der
an sich wandelbaren und historisch kontingenten Denkens des Menschen über sich
selbst. Foucault bekämpft daher alle anthropologischen Universalien, also alle
Beschreibungen des Menschen, die sich als universal gültig, d.h. als
anthropologische Konstanten ausgeben. Denn diese sich als universal ausgebenden
anthropologischen Beschreibungen, mit denen Menschen sich selbst thematisieren
und die sich in Diskursen herausbilden, haben einen realen Einfluss auf das Verhalten
und Handeln der Menschen. Dieser Einfluss ist teilweise so bestimmend, dass sich
dadurch spezifische Weisen des Verhältnisses zu sich selbst und zu anderen
ausbilden und diese auf eine bestimmte Art und Weise festlegen.
Auf der anderen Seite wendet Foucault sich gegen das
‚Subjekt’ als eine grundlegende Denkfigur, die vor allem im wissenschaftlichen
Diskurs und insbesondere in der Philosophie herrscht. Hier kritisiert er vor
allem den ‚Primat des Subjekts’ bzw. die Stellung des Erkenntnissubjekts. Was
Foucault in Frage stellen will, ist das Primat bzw. die Privilegierung des
‚Subjekts’, welche seit der Renaissance, seit Denkern wie Descartes und Kant
vorherrscht. Für ihn erscheint in der Philosophie das ‚Subjekt’ „als das
unmittelbar Gegebene, der Ursprung, der Kern, von dem aus Erkenntnis und
Wahrheit in die Geschichte Einzug hält“ und „von dem her die Freiheit sich zeigte
und entfaltete“. Das ‚souveräne und autonome Subjekt’ wird als die entscheidende und grundlegende
Entität gesetzt. Von dieser Entität gehen Handeln und Erkenntnis aus. Daher
sollte die philosophische und wissenschaftliche Analyse vom ‚Subjekt’ ausgehen
und dieses als grundlegende Kategorie und Erklärungsprinzip benutzen. Dieses
Primat des ‚Subjekts’ existiert jedoch nicht nur in der Philosophie, sondern
auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen und bestimmt auch das Alltagsdenken.
Gegen diese primäre Stellung des ‚Subjekts’, von der aus alles andere – als
Teil des Objektbereichs – als sekundär erscheint, richtet sich Foucault. Für
ihn haben das Erkenntnissubjekt und somit „auch die Beziehungen zwischen
Subjekt und Objekt, also die Wahrheit […] eine Geschichte.“
Foucault erklärt im Rückblick: „Um aus der
Subjektphilosophie herauszukommen, habe ich eine Genealogie des modernen
Subjekts als einer historischen und kulturellen Realität versucht, d.h. als
etwas, was sich eventuell ändern kann.“ Für Foucault ist somit das ‚Subjekt’
nicht das Primäre schlechthin, sondern ebenfalls etwas ‚Sekundäres’, etwas
Abgeleitetes, etwas, dass erst in und mit einer Vielzahl von gesellschaftlichen
Prozessen entstanden ist. Er sieht in dem ‚Subjekt’ somit keinen Anfangs- und
Ausgangspunkt, von dem die entscheidenden Prozesse ausgehen, sondern – da ebenso
viele Prozesse auf es einwirken, wie von ihm ausgehen – vielmehr einen Durchgangspunkt,
eine ‚Relaisstation’. Daher erscheint ihm die primäre Stellung des ‚Subjekts’
nicht haltbar, keinesfalls leugnet er – was natürlich absurd wäre – die empirische
Existenz menschlichen Lebens. Auf die in einem Interview gestellte Frage: „Was
ist der Mensch? Existiert er?“ antwortete Foucault: „Natürlich existiert er.
Was es zu zerstören gilt, das ist die Gesamtheit der Bestimmungen,
Spezifikationen und Sedimentationen, durch die gewisse Wesenheiten des Menschen
seit dem 18. Jahrhundert definiert worden sind.“ Foucault sieht in dieser
‚Anthropologisierung’ „die große innere Gefahr der Wissenschaften“ und versucht
im Gegenzug die Vorstellung einer „universelle[n] Form des Subjekts, die man
überall wieder finden könnte“ zu bekämpfen. Diesen Kampf führt Foucault
folgendermaßen: Er zeichnet die Wege nach, „auf denen Menschen in unserer
Kultur Wissen über sich selbst erwerben: Ökonomie, Biologie, Psychiatrie,
Medizin und Strafrecht“. Dieser Eintritt der Menschen in einen Objektbereich ist
jedoch kein neutraler und/oder unbedeutender Vorgang, denn gleichzeitig
konstituieren die Menschen „sich selbst als Subjekte mit einem festen und
determinierten Status“. Dies meint Foucault, wenn er davon spricht, „dass der
Mensch ins Innere seines eigenen Wissens eingeht“. Diese Selbstbeschreibungen,
welche die Menschen sich im Verlaufe der Geschichte geben, werden immer zum
Bestandteil der menschlichen Lebensführung auf Handlungsebene. Sie werden z.B.
zu ‚Bildern’, denen wir verhaftet bleiben und die unser Verhalten und unser
Handeln grundlegend beeinflussen. So sagt Foucault: „Wir sind Gefangene
gewisser Vorstellungen über uns selbst und unser Verhalten. Wir müssen unsere
Subjektivität, unser Verhältnis zu uns selbst, befreien.“
Diese Vorstellungen, welche die Menschen sich über sich
selbst machen, entstehen – durch soziale bzw. gesellschaftliche Verhältnisse
induziert – in Diskursen. Diese diskursiven anthropologischen Beschreibungen
gehen in die menschlichen Selbstverhältnisse über. Somit wendet sich Foucault
gegen die Trennung von Sozial- und Geistesgeschichte bzw. die Trennung von
Handeln und Denken: „Aber jeder Mensch handelt und denkt zugleich. Das Handeln
und die Reaktion von Menschen sind mit ihrem Denken verknüpft, und natürlich
ist das Denken mit der Tradition verbunden. Ich habe versucht, dieses äußerst
komplexe Phänomen zu ergründen.“
So sieht Foucault sich auch als einen Historiker des
Denkens: „Mein Arbeitsfeld ist die Geschichte des Denkens. Der Mensch ist ein
denkendes Wesen. Die Art, wie er denkt, hängt mit der Gesellschaft, der
Politik, der Wirtschaft und der Geschichte zusammen, aber auch mit allgemeinen,
universellen Kategorien und formalen Strukturen. Doch das Denken ist etwas
anderes als gesellschaftliche Interaktion. […] Zwischen der Sozialgeschichte
und den formalen Analysen des Denkens gibt es einen Weg, eine Straße –
vielleicht nur eine sehr schmale –, die der Historiker des Denkens nimmt.“
Durch diese diskursiven Beschreibungen und die Vorstellungen
und Bilder von sich selbst, die für universell gehalten werden, beschränken
sich die Menschen selbst. „Ich möchte
zeigen, dass viele Dinge, die Teil unserer Landschaft sind – und für universell
gehalten werden –, das Ergebnis ganz bestimmter geschichtlicher Veränderungen
sind. Alle meine Untersuchungen richten sich gegen den Gedanken universeller
Notwendigkeiten im menschlichen Dasein. Sie helfen entdecken, wie willkürlich
Institutionen sind, welche Freiheit wir immer noch haben und wie viel Wandel
immer noch möglich ist.“
Obwohl Foucault häufig vorgeworfen wurde, er würde mit
seinen Arbeiten den Menschen als ein vollkommen determiniertes und somit
unfreies Wesen aufzeigen, kann er mit Recht behaupten: „Ich habe mir
vorgenommen – dieser Ausdruck ist gewiss allzu pathetisch –, den Menschen zu
zeigen, dass sie weit freier sind, als sie meinen; dass sie Dinge als wahr und
evident akzeptieren, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte
hervorgebracht worden sind, und dass man diese sogenannte Evidenz kritisieren
und zerstören kann. Etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern – das ist die
Aufgabe des Intellektuellen.“
Oder auch: „Ich unternehme meine Analysen nicht, um zu
sagen: Seht, die Dinge stehen so und so, ihr sitzt in der Falle. Sondern weil
ich meine, dass das, was ich sage, geeignet ist, die Dinge zu ändern. Ich sage
alles, was ich sage, damit es nützt.“
Die Selbstbeschreibung, gegen die Foucault dabei am
stärksten zu kämpfen scheint, ist eben die des ‚Subjekts’. Dass Menschen sich
selbst als ‚Subjekt’ sehen, bedeutet, dass sie sich als die Mitte der Welt in
Vorstellung, Wille und Werk wahrnehmen, bzw. als ‚freies, unabhängiges und
souveränes Subjekt’.
Diese Vorstellung der Menschen von sich selbst hat nicht nur
Auswirkungen auf problematische wissenschaftliche Annahmen, sondern hilft reale
Ausbeutungs- und Herrschaftsmechanismen, an die die Menschen, wie Foucault
zeigt, in ihrem ‚innersten Wesen’ gebunden sind, zu verschleiern. Die
neuzeitliche Verwendung der Begriffe ‚Subjekt’ und ‚Objekt’ dreht den
ursprünglichen Sinn der Worte auf den Kopf. Wurde im Mittelalter das ‚Subjekt’
als Gott unterworfen angesehen, so dreht sich in der Neuzeit die Bedeutung um.
Das einst unterworfene ‚Subjekt’ wird zum Herrschenden, dem alles andere – die
‚Objekte’ – unterworfen sind. Das ‚Subjekt’ nimmt die Stellung Gottes ein.
Foucault verweist auf den doppelten ursprünglichen Sinn des Wortes ‚Subjekt’:
„vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein
und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein“. Diese doppelte
und miteinander vermittelte Unterworfenheit der Menschen – durch
gesellschaftliche Verhältnisse und durch sich selbst – möchte Foucault mit
seinen Studien aufzeigen, um den Möglichkeitsraum des Handelns der Menschen zu
erweitern und Herrschaftsmechanismen zu bekämpfen.
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