Dieser Tage wundere ich mich immer wieder, was da gerade eigentlich los ist. Die Rede ist natürlich von der Banken-, Finanz- und nun vielleicht auch Wirtschaftskrise. Verwundert lese ich eine Hiobsbotschaft nach der nächsten, begleitet von der Einsicht, dass ich eigentlich überhaupt keine Ahnung habe, was da gerade geschieht und der Vermutung, dass dies nicht nur mir, vielleicht sogar allen so geht. Ich frage mich, ob nicht gerade eine Umwälzung unserer Welt in Gange oder am Hervorbrechen ist, die im Rückblick ebenso 'bedeutsam' erscheinen wird, wie das Ende des kalten Krieges.
Relativ sicher scheint mir, dass wir gerade inmitten einer massiven Verschiebung der weltweiten geopolitischen Machtverhältnisse stecken, in der vor allem die US-amerikanische Hegemonie (wenn man sie denn so nennen mag) an Vormachtstellung verliert und es immer stärker eine multipolare Machtverteilung geben wird. Bei aller Kritik an der US-Politik, ob dies mittelfristig gute Folgen haben wird, wird sich zeigen, ich persönlich bin da eher skeptisch. Andererseits ist zu hoffen, dass die sogenannten 'Entwicklungsländer' von dieser 'Entwicklung' profitieren, aber auch das ist nicht gesagt.
Doch zurück zur Finanzkrise: Neben der ungeheueren Komplexität des Geschehens an den Finanzmärkten sowie der grundsätzlichen Unvorhersagbarkeit scheint sich mir hier doch ein grundsätzlicher Mangel unseres Denkens zu zeigen, der es uns schwer macht, solche Situationen zu deuten: unser dingliches Denken.
So wird dieser Tage z.B. immer wieder berichtet, wieviel Billionen Dollar weltweit durch die Finanzkrise verloren geht. Dabei wird nicht nur nicht gesagt, wem dieses Geld verloren geht, vielmehr noch wird suggeriert, es gebe eine konstante Menge an Geld und Geld hätte seinen Wert in sich. Jedoch ist weder die Geldmenge konstant, noch hat eine Geldeinheit ihren Wert in sich. Geld ist ja ein Tauschmittel und daher etwas, das seinen Wert nur durch seine Bezüge, sein Verhältnis, sein Relationsgefüge erhält. Es geht also momentan kein Geld verloren (weil Geld nichts Dingliches ist, auch wenn wir von Geld als Münzen und Scheine denken und dies das nahelegt), sondern es verändert sich das Wert- und Machtgefüge des Geldmarktes und damit überhaupt des weltweiten Menschengeflechtes.
Damit ist nicht gesagt, dass das Geschehen unproblematisch ist. Nur ist das Problem ist nicht der Verlust einer Geldmenge, sondern der drohende Verlust einer das ganze System aufrechterhaltenden Dynamik (des Tausches), die negative Auswirkungen auf alle Beteiligte haben kann (wenn auch in ganz unterschiedlichem Ausmaß). Was wir bräuchten um dieses Geschehen besser zu verstehen, wäre eine relationales Denken, ein Denken in Beziehungen, das den Beziehungen und nicht den Entitäten einen ontologischen Primat zugesteht (sowie das ursprünglich auch die Trinitätstheologie lehrt). Mit anderen Worten: Die Beziehungen nicht als etwas nachträgliches, sondern als etwas vorgängiges denken, das 'Zwischen', den Relator, nicht die Relata als das Wesentliche und Primäre zu denken. Nur geht das mal so eben nicht einfach, falls überhaupt jemand versteht, was ich meine.
P.S.: Hat jemand in den letzten Tagen irgendwelche erhellenden Artikel gelesen, die das aktuelle Geschehen jenseits gängiger Verstehenslogiken (die so tun als sei doch klar und deutlich, was da gerade geschieht) erleuchten können? Für Hinweise bin ich dankbar...
Wunderbar, den Ansatz von den Beziehungen her finde ich richtig: was passiert eigentlich wirklich? Ich suche die letzten Tage auch schon immer. Was ich gefunden habe bzw. finde, kannst du aktuell unter den folgenden URLs finden:
http://www.google.com/reader/shared/user/15186528655099805221/label/Bankenkrise ,
http://www.google.com/reader/shared/user/15186528655099805221/label/Evangelium%20und%20%C3%96konomie und
http://www.google.com/reader/shared/user/15186528655099805221/label/Kapitalismus .
Spärlich genug, aber vielleicht können wir uns ergänzen. Wenn du was findest, schick es mir doch auch irgendwie rüber.
Posted by: Walter | Oct 10, 2008 at 22:56
Finde deine Gedanken sehr erhellend zu dem was da gerade passiert. Ansonsten habe ich auch eher wenig Ahnung – bzw. setze immer voraus dass „die“ schon wissen wovon sie reden. Wobei mir das Reden von mehr „Vertrauen in den Finanzzirkus“ doch etwas sehr nach „und dann weiter so nur in gut“ vorkommt.
Posted by: Depone | Oct 10, 2008 at 23:50
Hallo Tobi,
habe gestern bei der guten alten Bundeszentrale für politische Bildung diesen Artikel gelesen, den ich ganz hilfreich fand... für mich als wirtschaftlich nicht sonderlich firme Person nicht bis ins Detail verständlich, aber gut fürs Grundverständnis:
http://www.bpb.de/publikationen/OUDIEA,0,Stabilit%E4t_des_internationalen_Finanzsystems.html.
Viele Grüße! Esther
Posted by: Esther | Oct 11, 2008 at 10:16
Hey Tobi,
ich hab gestern bei spiegel.de diese kleine Bilderserie zur Entstehung der Finanzkrise entdeckt: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-36029.html#backToArticle=583769
Ziemlich simplifiziert, aber ich fands ganz hilfreich.
Gruß übern Teich,
Johannes
Posted by: Johannes Best | Oct 14, 2008 at 22:35
Hab gerade eine gute und verständliche Zusammenfassung der Krise in der Wirtschaftswoche gesehen:
http://www.wiwo.de/finanzen/finanzkrise-vom-immobilienboom-zum-boersen-crash-271063/
Hoffe, das macht es verständlicher.
Posted by: ebbelwain | Oct 16, 2008 at 11:51
Danke Euch allen für die vielen Links!
Posted by: tobiK | Oct 18, 2008 at 21:49
Hallo Tobi,
hoffe, es ist noch nicht zu spät, hier Tips abzugeben: Hemut Creutz hat ein sehr interessantes, aber auch potentiielle kontroverses Buch mit dem Titel "Das Geldsyndrom" geschrieben, in dem er grundsätzlich aufzeigt, wozu Geld eigentlich da ist (bzw. sein sollte) und wie es mehr und mehr seinem ursprünglichen Zweck entzogen wird. AUsserdem definiert er im Schlussteil zwei Problemfelder: Die Überentwicklung der Geldmenge,
die zur Inflation führt, und die Überentwicklung der Geldvermögen, die zur Überschuldung und zum Wachstum zwingt.
Link: http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/creutz/geldsyndrom/
Lesenswert ist vor allem der Schlussteil mit den zwei "Zahnrad"-Diagrammen, die die Zusammenhänge gut darstellen.
Posted by: Patrick | Nov 05, 2008 at 20:57
Hi Tobi, genau das was Du Dich fragst hab ich mich auch schon gefragt. Das mit den Beziehungen ist eine ganz tolle Erklärung! Auch das mit dem Wert des Geldes ist eine gute Erklärung.
Hier ist mein bescheidener Beitrag dazu:
http://www.ifeb.uni-bremen.de/wordpress_staedtler/?p=531
Posted by: Helge | Nov 10, 2008 at 23:20
Lesenwert ist auch: http://www.zeit.de/2008/49/DOS-Wo-steckt-das-Geld
Posted by: Wannenchrist | Dec 01, 2008 at 09:07
Danke für die weiteren Links! Besonders der Zeitartikel ist wirklich zu empfehlen!
Posted by: tobiK | Dec 07, 2008 at 16:58