Heute ist mir mal wieder die komische Tatsache aufgefallen, dass wir Christen es gar nicht komisch finden, sondern viel mehr gewöhnt sind, beim Beten die Äuglein zu schließen. Warum tun wir das? Seit wann tun wir das? Gibt es Bibelstellen, die uns dazu auffordern? Soweit ich weiß, nein.
Chesterton hat mal gesagt, dass der Unterschied zwischen buddhistischen und christlichen Heiligenfiguren der ist, dass die buddhistischen die Augen geschlossen haben, während die christlichen die Augen weit aufreissen. Auch wenn ich kein Verehrer von Heiligen(figuren) bin, mir scheint in dieser Beobachtung eine wesentliche Wahrheit zu liegen.
Wir leben in einer Kultur, deren wesentlicher Kult der Innerlichkeitskult zu sein scheint. Wir glauben, dass in uns irgendwie Wahrheit zu finden ist, dass wir Gott vor allem in unserem Inneren finden können. Also schließen wir die Augen und versuchen mit unserem inneren Auge zu blicken.
Nicht das ich diese Praxis für verwerflich halte, doch aber für recht einseitig. Nicht nur, weil wir damit blind unserer Kultur folgen, die seit ein paar Jahrhunderten das Innere für eine Quelle des Guten hält, während das Äußere (z.B. die ‚böse Gesellschaft’) moralisch verdächtig oder doch zumindest oberflächlich erscheint (wir sind da lieber ‚tiefsinnig’), während so manche Bibelstelle eine ganz andere Wertigkeit andeutet („Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen könnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist's, was den Menschen unrein macht.“ Mk. 7, 15); auch nicht nur, weil sich darin ein Selbstmissverständnis auszudrücken scheint: die Verkennung unserer Selbstfremdheit, sowie ein Unverständnis dessen, dass wir niemals einfach sind, sondern unvermeidlich ex-istieren, d.h. immer schon in einem Verhältnis zu uns stehen und damit uns selbst sowohl innerlich wie äußerlich sind, anders ausgedrückt: in uns, wie außerhalb von uns wohnen; sondern vor allem, weil mir damit eine Geringschätzung der und des Anderen einherzugehen scheint, dem ich mich damit zu einem gewissen Grad unvermeidlich verschließe.
Wenn Jesus jedoch mitten unter uns ist, wenn zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, wenn sein Reich mitten unter uns ist, wenn wir, was wir für unsere geringsten Brüder getan haben, Jesus getan haben, wenn Jesus also nicht nur in uns, sondern vor allem auch außerhalb von uns, im Anderen, im Zwischen von mir und anderen zu finden ist: Warum schließen wir dann die Augen um zu ihm Kontakt aufzunehmen?
Ich jedenfalls möchte lernen IHN immer mehr im Anderen, bzw. im Zwischen zu begegnen und mich beschleicht das Gefühl, dass ich dazu lernen muss, immer mehr mit offenen Augen zu beten.
Und da fällt mir ein Buberzitat ein, das ich schon mal gepostet habe:
„Denn nicht von allem absehen heißt in die reine Beziehung
treten, sondern alles im Du sehen; nicht der Welt entsagen, sondern sie in
ihren Grund stellen. Von der Welt wegblicken, das hilft auch nicht zu ihm; aber
wer die Welt in ihm schaut, steht in seiner Gegenwart. »Hier Welt, dort Gott« -
das ist Es-Rede; und »Gott in der Welt« - das ist andre Es-Rede; aber nichts
ausschalten, nichts dahinterlassen, alles – all die Welt mit im Du begreifen,
der Welt ihr Recht und ihre Wahrheit geben, nichts neben Gott, aber auch alles
in ihm fassen, das ist vollkommne Beziehung.“ Martin Buber
Gedanken dazu? Antworten auf meine zu Beginn gestellte Fragen?
Schönes Zitat.
Das witzige: vor ungefähr zwei Jahren hatte ich mal in einer Gruppe etwas über den Unterschied von "Augen auf Spiritualität" und "Augen zu Spiritualität" geredet. Da ich selbst auch letztere kenne, würde ich sagen, dass es hier weniger um Innerlichkeit geht, als um ein bestimmtest Verständnis einer "geistlichen Dimension", die man "mit den Augen des Herzens sehen kann". So hab ich vor nicht allzu langer Zeit oft geredet (ich könnte jetzt auch Eph 2 zitieren, was ich aber lasse). Ich habe mir ähnliche Gedanken wie du gemacht und deshalb seit einiger Zeit versucht, Gott im Äußeren wahrzunehmen. Doch ich muss sagen: gerade im Beten und dem Singen mit anderen habe ich gemerkt: es funktioniert nicht so gut. Ich kann nicht erklären warum, aber gerade unter anderen Christen, die eben nicht so beten, fällt es mir dann sehr schwer überhaupt Gott wahrzunehmen.
Entweder es liegt daran, dass man eine Umgebung braucht, die da ähnlich denkt.
Oder aber- ich rede jetzt wahrscheinlich wieder zu viel von mir- dass es naiv von mir war, zu meinen, man kann seinen geistlichen Stil wechseln wie seine Unterwäsche.
Hm ich merke so: Dekonstruktion bringt einen ziemlich schnell in einen Zustand, wo zwar ziemlich das Alte beiseite geschafft wurde, aber das Neue/eine neue Art Glauben zu leben nicht so recht kommen will.
Posted by: Arne | Aug 06, 2007 at 00:56
Gute Gedanken - vielen Dank.
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob es mir nicht allerdings in der Spiritualität für andere (z.B. in der Fürbitte) hilft, die Augen zu schliessen, wenn der andere nicht gerade zufällig anwesend ist. Ich muss mich ja nicht, sobald ich die Augen schliesse, in mich selbst versenken, sondern kann mit Herz und Verstand in dem Moment genauso bei dem anderen sein wie ich das wäre, wenn ich die Augen aufhabe.
Das Buber-Ziat finde ich klasse. Hat mich erinnert an etwas, was ich viel zu oft in irgendwelchen "Anbetungsveranstaltungen" gehört habe, nämlich dass "wir jetzt alles abstreifen und liegen lassen und vor Gott treten". Warum können wir nicht mit all dem, was uns bewegt, zu Gott kommen, sondern müssen das, was uns ausmacht in der Situation irgendwo anders liegen lassen?
Posted by: Simon | Aug 06, 2007 at 07:06
ich bete meist mit offenen augen. in der bibel heißt es, wie du festgestellt hast, nirgends, dass einer beim beten die augen schließt. vielmehr ist davon die rede, dass man "seine augen aufhebt zum himmel". ohne daraus biblizistisch eine neue richtigkeit abzuleiten, habe ich diese haltung zu meiner praxis gemacht. es geht mir dabei weniger darum, gott im anderen zu entdecken (außer beim segnen, wo ich beobachten möchte, ob gott sofort erkennbar am anderen handelt). es geht mir vielmehr darum, dass ich mich nicht aus den herausforderungen des irdischen lebens in die innerlichkeit zurückziehe, sondern - indem ich meine augen erhebe - ich mich selbst erhebe zu dem gott, der zuerst "über allen" ist, bevor er "durch alle und in allen" ist (epheser 4,6).
Posted by: haso | Aug 06, 2007 at 08:22
Feines Zitat und vor allem feine Beobachtung von dir! Theologische Antworten habe ich auch nicht - bei mir hat das Schließen der Augen manchmal ganz praktische Erwägungen (in Gebetsgemeinschaften): ich glotze dann nicht auf den Pickel im Nacken des Nächsten oder auf die nette Figur meiner Nachbarin, sondern schließe einen Bund mit meinen Augen und schließe sie zugunsten der wichtigeren Sache.
Zuhause erlebe ich das anders: da schließe ich die Augen nicht, ergehe mich auch nicht in der klassischen Gebetshaltung, der Haarwaschhaltung, sondern blicke eher nach oben - was natürlich auch archaisch ist, weil Gott nicht im physikalischen Himmel ist, aber zumindest biblisch nachvollziehbar. Aber spannend das Thema, so ne Art Rückschluss von der Praxis zur dahinter stehenden Theorie (falls vorhanden): was beten wir da eigentlich, wie verhalten wir uns beim Gebet, wie halten wir uns... warum z.B. beobachte ich, dass so viele Menschen im Gebet immer wieder das Füllwort "einfach" einstreuen? Vielleicht, weil es nicht so einfach ist, sie es aber gern so einfach hätten? Spannende Frage - finde ich. To be continued.
Posted by: Wegbegleiter | Aug 06, 2007 at 09:13
Vielen, vielen Dank für Eure Kommentare! Um es noch mal deutlich zu sagen: Es ging mir nicht um die Abwertung der Praxis des Augenschliessens an sich, die mag oft gut und sinnvoll sein. Es ging mir mehr um die Gefahr einer damit verbundenen Haltung, einer Spiritualität rein nach innen. Ich würde also eher dafür plädieren, dass wir lernen mit offenen Augen zu beten, als das wir die Augen beim Beten nicht schließen dürfen.
@arne: Ja, den geistlichen Stil wechseln wie Unterwäsche kann man wohl nicht, da muss man wohl eher lange trainieren und üben.
@Simon: Genau dieser Spruch hat mich auch schon immer gestört, weil sich darin für mich diese falsche Haltung ausdrückt.
@Haso: Sehr spannend! Mich würde sehr interessieren, wie lange Du das schon praktizierst und wie lange es gedauert hat, sich umzugewöhnen. Also wann hat es sich nicht mehr komisch angefühlt? Oder hast Du das schon immer so gemacht?
@wegbegleiter: Ich bin ja überzeugt davon, dass sich in jeder Praxis eine (oder besser viele) implizite Theorie verbirgt, nur ist diese weder bewußt noch hilft die Bewußtmachung schon die Praxis zu ändern. Das liegt wohl daran, dass die Theorie inkorporiert ist, vereinfacht gesagt: Sie ist mehr in unserem Leib gespeichert, als in unseren Gedanken. Aber dazu müsste ich endlich mal ausführlicher schreiben...
Posted by: tobiK | Aug 07, 2007 at 20:15
vielen danke für deinen wirklich anregenden artikel. mein gedanke zu dem thema: ich bete sehr oft mit offenen augen und mit offener bibel. ich lese ein paar verse und wie voon selbst geht es vom lesen in das beten. und schon das lesen war gebet. gottes worte sind mir eine wunderbare hilfe, wenn die eigenen einmal fehlen. schon oft hab ich dies als eine gebetserfrischung erfahren. und warum sonst sind die vielen gebete uns in die bibel gelegt?
Posted by: Martin | Aug 08, 2007 at 00:15
Ganz oft finde ich auch Halt in einem C.S. Lewis Zitat, das ungefähr so ging: "Wenn ich die 5. klassigen Lieder in 6.klassiger Vertonung in manchen Gottesdiensten höre, dann will ich manchmal nur noch raus. Aber dann seh ich meinen Nachbar, der diese Lieder voller Inbrunst mitsingt und der tatsächlich Gott darin zu finden scheint und mir wird bewußt, dass ich nichtmal würdig bin, diesen Mann die Schuhe zu binden.". Ich finde da drückt sich das doch aus: warum eigentlich Gott nur unmittelbar erleben? Was, wenn die Unmittelbarkeit in eine Krise kommt? Warum Gott nicht durch den anderen erleben? Gott nicht darin erleben, wie er an anderen handelt? Das ist vielleicht eine gangbarere Alternative als die Augen noch weiter zu schließen, die Fäuste noch mehr zu ballen und einfach noch lauter zu singen.
Posted by: Arne | Aug 08, 2007 at 18:05
Danke Martin und danke Arne für das geniale Zitat! Sehr guter Gedanke - auch wenn´s in der Praxis nicht immer so einfach ist.
Posted by: tobiK | Aug 09, 2007 at 19:31
Was mir dazu grade so durch den Kopf geht...
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,499426,00.html
Ob sich mit "Beten" ein Killerroboter beeindrucken lassen wird?
Ob es wohl in wenigen Jahren noch einen Grund gibt, als Volk gegen einen Krieg zu sein, wenn doch niemand mehr vom eigenen Volk sterben wird?
Ob es wohl in wenigen Jahren noch einen Anreiz gibt die Beendigung eines Krieges zu verlangen, wo dieser doch keine Opfer mehr aus der Familie fordern wird, sondern Killermaschinen den Job erledigen?
Menschen haben im Schach gegen Maschinen ihre Intellektuelle Überlegenheit verloren, sie haben in der Fabrik gegen Maschinen ihren Arbeitsplatz verloren, Menschen haben am Daytrading-Arbeitsplatz der Investmentbank ihr Gewissen gegen eine Maschine verloren, warum sollten ausgerechnet Menschen gegen Maschinen, die als Killer unterwegs sind, auch nur eine Chance haben zu gewinnen?
Das ist was mir dazu gerade einfällt! Und das deutsche Unis sich daran beteiligen, und dafür auch noch gefeiert werden. Das lässt mich auch arg zweifeln, dass "Beten mit offenen oder geschlossenen Augen" hier auch nur einen minimalen Unterschied machen wird.
Ich würde ganz pragmatisch vorschlagen die Augen offen zu lassen, dann bleibt einem wenigstens nicht aus "Versehen bzw. nach Innen sehen" verschlossen, was sich um einen herum (da Draussen) gerade so verändert.
http://idw-online.de/pages/de/news221495
Posted by: L'g. | Aug 14, 2007 at 23:58
Mir geht es ähnlich wie Haso und bete auch fast immer "Offenaugig". Mir ist mal die Geschichte ziemlich reingefahren, als Jesus im Tempel ausrastet und die Pharisäer des "Showbetens" bezichtigt. Auch wenn ich alleine bete, kommt schnell wieder so ein religöser Spirit über mich und ich laber irgendwelche fromm klingenden Worte anstatt wirklich vom Herzen mit meinem Freund Jesus, mit meinem Papi Gott zu reden.
Posted by: Martin Dreyer | Aug 22, 2007 at 07:48
Ja, danke Martin und herzlich Willkommen auf dem Blog! Auch von Dir würde ich da ja gerne mal mehr zu dem Thema hören!
Posted by: tobiK | Sep 08, 2007 at 18:46