Meine Liebste, mein Chef und meine Kollegin haben es gelesen und empfohlen, allein das wäre zum Lesen schon Grund genug gewesen. Spätestens Kapitelüberschriften wie 'Denken heißt Beschreiten. Ernst-Bloch und das Prinzip Hoffnung', 'Ein bisschen Olaf' und 'Die Welt ist eine Lasagne' sowie ein erster Satz, der da lautet 'Was, wenn die Urenkel der Nihilisten längst ausgezogen wären aus dem staubigen Devotionalienladen, den wir unsere Weltanschauung nennen?", konnten mich dann vom Lesen nicht mehr abhalten und: es hat sich gelohnt.
Die Rede ist vom Roman 'Spieltrieb' der Autorin Juli Zeh. Diese ist gerade Mal Anfang 30 und hat bislang mehr Literaturpreise eingeheimst als Bücher geschrieben. Mit dem 2004 veröffentlichten 'Spieltrieb' spaltete sie die Gemeinde der grantigen Gralshüter alias Literaturkritik. Die einen feierten sie, während ihr andere Vorwürfe wie die "chronische Verwendung schiefer Metaphern" (FAZ) machten oder gar von "Hanni und Nanni auf der Porno-Penne" (SZ) sprachen.
Kein Frage, wer das Buch als realistischen Roman liest, wird ent/ge/täuscht. Hier ist nicht nur alles hochgradig konstruiert - 15jährige sprechen als hätten sie das Wissen und die Eloquenz einer ganzen Clique von Philosophiestudenten aufgesaugt -, auch die Story könnte einer beliebigen Boulevardzeitung entsprungen sein. Und doch geht es - wie ich fürchte - um eine höchst reale Erfahrung: eben die der Urenkel der Nihilisten. Gott und Nietzsche sind längst tot und sie haben nichts hinterlassen. Im Leben der Urenkel der Nihilisten gibt es nicht einmal etwas, was sie nicht mehr glauben können. Das vollkommene Abgetrenntsein von Werten und Sinn hinterläßt nicht einmal mehr einen Schmerz oder eine Leere, selbst der 'horror vacui' ist diffundiert. Das Einzige was bleibt ist der Spieltrieb, die Ausübung der eigenen Macht, die sich aus Indifferenz und Nichtbeteiligung an der Welt als letztes positiv verbleibende ergibt.
Es ist diese Erfahrung, mit der der Roman bewußt spielt, sie überspitzt, überzeichnet und irgendwie gar feiert. Genau deshalb gelingt der Roman; gerade weil man nicht zwischen den Zeilen einen verborgenen Sinn suchen muss, sondern dieser ungeniert vor den Zeilen wild herumtanzt und dumme Fratzen zieht...
Und so wird hier, wie ich finde, mehr über unsere Zeit und die (Nicht-)Erfahrung unserer Zeit gesagt als in all den Leitartikeln und Glossen und Possen der selbstverliebten deutschen Kulturindustrie.
P.S. für die Leser, die sich Christen 'schimpfen': Wenn Du nicht bereits vollkommen dieser Welt entschwunden (oder zu alt) bist, wette ich, dass Du auch etwas von Dir in diesem Roman finden wirst. Lebst Du im Hier und Jetzt, bist Du auch als Christ in gewissem Sinne ein Urenkel der Nihilisten.
Ich schließe mit meinem Lieblingssatz aus dem Roman: "Obwohl einmal verwitwet, neu verheiratet und in hoffentlich wenigen Stunden wieder geschieden, stand die Mutter noch immer vor dem Leben wie ein Kind vor den Terrarien im Zoo, an denen kleine Messingschilder mit lateinischen Namen auf Tiere hinwiesen, die man, Augen und Nase dicht am Glas, niemals zu sehen bekam."
oh, eine wirklich schöne kritik. das buch ist gerade auf meiner amazon-wunschliste gelandet, du hast mich sehr neugierig gemacht. :)
Posted by: francis | May 18, 2007 at 13:48
Danke Francis und willkommen auf dem Blog!
Posted by: tobiK | May 26, 2007 at 09:12