Im Kommentar zu meinem letzten Post hat L´g (Danke!) ein kurzes Plädoyer für die Vorstellung der Wiedergeburt gehalten. Daher will ich hier auf diese Idee ein wenig genauer eingehen und nachvollziehbar machen, warum ich nicht daran glaube. Dazu zweierlei: Erstens hoffe ich, dass klar ist oder wird, dass es mir nicht darum geht Überzeugungen anderer Religionen und Menschen zu ‚dissen’ und zweitens werde ich dazu die Überlegungen des Theologens Jürgen Moltmann zusammenfassen (aus ‚Das Kommen Gottes’), die ich kürzlich gelesen haben und die diese Frage treffender beantworten, als ich dies jemals auch nur annähernd könnte:
"Obwohl
eine Seele, die nicht sterben kann, auch nicht geboren wird, wird seit alters
her an den Gedanken der unsterblichen Seele gern die Vorstellung von der
Seelenwanderung, von ihrer Wiedergeburt und Wiederverkörperung in immer neuen
Formen angeschlossen. Alles Lebendige entsteht und vergeht, warum sollte es
nicht von neuem entstehen und dann wieder vergehen? Sieht man nicht auf die
Individualität eines Lebens, sondern auf seine natürliche Partizipation an den größeren
Lebenszusammenhängen dieser Erde, dann ist eher der Gedanke der
unwiederbringlichen Einmaligkeit jedes Lebens neu und eigenartig, nicht aber
der Eindruck der ewigen Wiederkehr des Lebens in immer neuen Gestalten. Die
sog. Reinkarnationslehre - der Ausdruck ist nicht sehr treffend - gehört zur
Weisheit der vor- und außermodernen Gesellschaften. Sie ist im Hinduismus,
Buddhismus und Jainismus ebenso zuhause wie im neueren Spiritismus, in
Theosophie, Anthroposophie, transpersonaler Psychologie und der
New-Age-Bewegung. Plato und Plotin, Lessing und Goethe vertraten sie."
(131f)
1.
"Jede
Reinkarnationslehre stellt das Einzelleben in eine größere
Generationengemeinschaft, oft in eine kosmisch gedachte Solidargemeinschaft
aller Lebewesen und Dinge: Alle sind mit allen verwandt. Töte kein Tier es
könnte die Seele einer deiner Ahnen in ihm sein! [...] Demgegenüber haben die
abrahamitischen Religionen aus dem Gegenüber eines personalen Gottes die Einmaligkeit
der menschlichen Person und die Unwiederbringlichkeit ihres Einzellebens
abgeleitet. Menschen sind nicht »Teil
der Natur«, sondern »Ebenbild des unsichtbaren Gottes«." (132)
"Gott
schafft Originale, keine Replika. Gott schafft einmalig und wiederholt sich
nicht. Daraus folgt das Verständnis der Individualität jeder menschlichen
Person, der Originalität jeder Lebensgestalt und die Einmaligkeit jedes
gelebten Augenblicks. Von diesem Standpunkt stellt sich die Frage an die Reinkarnationsgläubigen, ob ihre Lehre
nicht die Zahl der Seelen ganz erheblich reduziert und der Anspruch, schon
oft gelebt zu haben und immer wiedergeboren zu werden, nicht eine
ungeheuerliche Verdrängung anderer Personen aus ihrem Leben darstellt? [...]
Umgekehrt stellt sich aus der Reinkarnationslehre die Frage an die
abrahamitischen Religionen, ob ihre personale Hervorhebung der Menschen nicht
deren natürlichen Lebenszusammenhang zerstört und sie selbst zu Zerstörern der
Erde, der Mutter alles Lebendigen, macht? [...] Es ist heute sogar
lebensnotwendig, das östliche Naturverständnis und das westliche
Personverständnis fruchtbar miteinander zu vermitteln." (133)
2.
"Jede
Reinkarnationslehre steht vor der Frage,
wie sie die Identität der Seele im Wandel ihrer Lebensgestalten festhalten kann."
(133)
"Gewinne
ich den Eindruck: »Ich bin schon einmal dagewesen«, muß ich mein Ich
identifizieren können. Es kann also nicht sterblich sein. Gehört mein Ich aber
zu diesem Leben, dann vergeht es auch mit diesem Leben und ich werde mich nicht
wiedererkennen können, sollte ich einmal wiedergeboren werden. Sollten meine
Glücksgefühle und meine Schmerzerfahrungen auf die Erfahrungen in einem
früheren Leben zurückgehen, dann müßte jenes frühere Leben sich in meinem Leben
wiederholen, nicht nur meine Seele. Dann aber kann jenes frühere Leben nicht tot
sein.
Nach
alter indischer Lehre »wandert« die Seele auch nicht wirklich. Das ist eine
personale Vorstellung. Ist mein 'Atman' unsterblich, dann ist es in seiner
Wahrheit auch unbeweglich und sich immer gleich. [...] Ist aber die Seele in
Wahrheit ohne Individualität und Personalität, dann ist sie auch kein Subjekt,
das »wandert« oder die Kleider »tauscht«. Vielmehr gehört das Subjekt selbst
zum Kreislauf der Wiedergeburten und muß aufgelöst werden, um Erlösung zu
finden." (134)
3.
"In
der alten indischen Welt wurden die Reinkarnationen als Fluch für die Seelen
aufgefaßt, die an dieses sinnlose Rad der Wiedergeburt gefesselt sind. Erlösung
gibt es nur, wenn sie einmal nicht mehr wiedergeboren werden, im Nirwana. Erst
im personalen Denken der westlichen Welt und unter ihrem Einfluß auch durch
neue indische Denker werden Reinkarnationen als wunderbare Erweiterungen der
Lebensmöglichkeiten über den Tod hinaus aufgefaßt. Diese Deutung aber setzt die
Identität der Seele und ihre Kraft, sich in immer neuen Lebensgestalten zu
identifizieren, voraus." (134)
"In
der neuen europäischen Welt gehört die Reinkarnation in das Erziehungs- und
Evolutionsprinzip der modernen Welt. Die alte Karma-Lehre stellt den unerbittlichen und unentrinnbaren Tun-Ergehens-Zusammenhang dar:
'Wie man handelt, so wird man nach dem Tode.' [...] Der Zusammenhang ist
gnadenlos, weil er von keiner Macht der Welt und von keinem Gott durchbrochen
werden kann. Nach westlicher Deutung aber soll uns die Reinkarnation eine
»zweite Chance« geben, »um die Aufgaben zu erfüllen, die wir in diesem Leben
nicht erfüllen konnten oder wollten«, wie Elisabeth Kübler-Ross ("Über den
Tod und das Leben danach") es wünscht." (135)
"Steht
dieses Leben allein unter dem Fluch der bösen Tat, dann ist es ein »Strafort«.
Steht es unter Prüfungszwang, dann ist es ein »Fegefeuer«. In beiden Fällen
zerstört das Leistungsprinzip die gebrechliche Schönheit und das Glück dieses
Lebens. Ist jeder Leib nur eine Durchgangsstufe und eine Hülle der wandernden
Seele, wie kann ich dann das Hiersein lieben, bin ich dann nicht immer mit
meiner Seele woanders? Ist dieses Leben nicht mehr als nur ein Mittel zum
Zweck, ist es nicht in sich schön und sinnvoll?" (135)
4.
"Die
Karma-Lehre ist den abrahamitischen Religionen nah und fremd zugleich. Das
Tun-Ergehens-Gesetz war so allgemein erkannt und angenommen worden, daß es
überall vorkommt. »Wie man handelt, so wird man«, und »was der Mensch sät, wird
er ernten« (Gal 6,7f). Es übergreift auch die Generationen: »Die Väter haben
saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf« (Jer 31,29).
Wie das Karma ist auch der biblische Tun-Ergehens-Zusammenhang ein weltimmanentes
Gesetz und keine göttliche Strafe auf menschliche Schuld." (135f)
"Weil
nach der Karma-Lehre die Taten den Täter prägen, heißt das zuletzt, daß jeder sein eigener Schöpfer ist. Eine
Untervscheidung zwischen Sein und Tun, zwischen Person und Wirken wird nicht
gemacht. Das kosmische Karma-Gesetz führt endlich die gegenwärtigen
Behinderungen, Krankheiten und Leiden auf »karmische Schuld« der inkarnierten
Seele oder deren Vorfahren zurück. Jedes Leiden muß in einem vorangehenden Tun
gründen. Der Karma-Glaube hat mit Gottesglauben nichts zu tun. Der Mensch ist
mit seinem Tun und Leiden und deren Voraussetzungen und Folgen allein."
(136)
"Wenn
Theologen der Karmalehre das christliche
»Prinzig Gnade« entgegensetzen, müssen sie sagen, was das heißt. Für mich
heißt es:
1.
Der schöpferische Gott handelt kontingent-geschichtlich und schafft in der
Geschichte »Neues«. Er unterbricht ständig den Tun-Ergehens-Zusammenhang und
setzt das Karma-Gesetz außer Kraft. Diese Unterbrechung, in der Neues
geschieht, nennen wir 'Gnade'. [...]
2.
Vergebung der Schuld bedeutet nicht Strafaussetzung, sondern Außerkaftsetzung
des Tun-Ergehens-Gesetzes.
3.
Ferner heißt dies, daß jenes Gericht, das in den Folgen des bösen Tuns liegt
nicht stattfindet. Wer das 'Prinzip Gnade' lehrt, kann nicht gleichzeitig das
»jüngste Gericht« als apokalyptisches Karma-Gesetz lehren. Würden wir im
»jüngsten Gericht« nur nach unseren Taten beurteilt, dann läge der Ausgang des Verfahrens in unserer
Hand; dann wären wir es, die unser entscheiden. Wir können also mit dem Gericht
machen, was wir wollen, und brauchen dafür keinen Gott. Wir müssen nur das
Gesetz kennen, um die Folgen unseres Tuns zu wollen oder nicht zu wollen. Ein
Gott, der sich an dieses Gesetz halten muß und es nur vollstrecken muß, ist
weder frei noch göttlich, sondern ein Knecht seines Gesetzes und ein
Vollstreckungsbeamter unserer Entscheidungen. Das letze Urteil ist jedoch das
Wort der freien, schöpferischen Liebe Gottes.
4.
'Das Prinzip Gnade' unterscheidet endlich sehr deutlich und zwar qualitativ
zwischen Person und Tun. Nach ihm wird böses Tun verurteilt, aber die Person
freigesprochen. Die Person wird nicht mehr bei ihrem Tun behaftet und nach
ihren Werken beurteilt, sondern in ihrer Würde davon befreit. Die Person ist
mehr als die Summe ihrer Werke und mehr als die Summe ihrer Leiden. Darum ist
das Sein wichtiger als das Tun und das Haben." (136f)
Soweit die Gedanken Moltmann´s denen ich mich vollkommen
anschließen kann. Was denkst Du dazu L´g? Und was die anderen? Würde mich
interessieren…
Ich denke, intellektuell ist das nicht lösbar. Kann sein muss aber net, könnte man sagen. Beantwortet jeder Glaube für sich und sucht sich dann seine Vorteile und Zugänge zur Welt. Von östlichen Denkern oder Denkern, die diesem Denken nahestehen, wird z.B. den abrahamischen Religionen vorgeworfen, auf Grund ihres Denkens eines, oft unteilbaren, Wesenkerns nicht im Stand zu sein den Menschen in mehrere Rollen schlüpfen zu lassen. Moltmann drehts genau um. Naja =;-)
Posted by: andy | Apr 22, 2007 at 22:39
Holla! Das ist ja eine ziemlich gewaltige Antwort. Ich muss sagen, jetzt wo ich sie komplett durchgelesen hab, kommt mir das "Prinzip Gnade" gar nicht mal so übel vor.
Vor allem der Begriff "Tun-Ergehen-Zusammenhang" hat mir gezeigt, was Du meinst. Ein Problem ist ja auch, dass bei dem "Tun-Ergehen-Zusammenhang" einer festlegen muss was GUT und was BÖSE ist. Da ohne funktioniert also das ganze Prinzip nicht. Und wenn es der mensch festlegt, tja, dann ist es ein menschliches prinzip und kein göttliches mehr, oder?
Kurz und knapp, ich versteh es jetzt besser und ich denke ich kann dem Prinzip der "Auflösung" echt etwas abgewinnen. Das bewundere ich übrigens an der Natur besonders: Ohne Tod, würde alles in einer Katastrophe enden. Das Ende von Etwas kann durch den Tod die wunderbare Grundlage für etwas Neues sein. So bleibt das Gesamtsystem stabil auf der einen Seite und Wandlungsfähig auf der anderen, auch wenn es bei jedem Tod natürlich etwas verliert.
Spannendes Thema finde ich. Wenn ich für mich "Wiederauferstehung" als die Geburt von Etwas Neuem verstehen darf, komme ich damit glaube ich ganz gut klar. ;-)
Danke für die ausführliche Antwort.
Posted by: L'g. | Apr 22, 2007 at 23:39
@L´g: Freut mich, dass Du die 'Antwort' hilfreich und nicht 'erschlagend' fandest. Letzteres befürchtete ich im Nachhinein.
Du DARFST nicht nur, sondern MUSST natürlich für dich schauen, was Du für dich unter Wiederauferstehung verstehen magst. Ich persönlich würde es allerdings vorziehen nicht nur als ein Etwas, sondern als ein Jemand aufzuerstehen. Stell ich mir erheblich charmanter vor, sozusagen... ;-)
@Andi: Ich wollte nicht behaupten, dass man das Problem intellektuell lösen kann. Trotzdem darf man doch nach guten Gründen, sowie Konsequenzen usw. suchen, wenn man versucht grundlegende Justierungen seines Zugangs zur Welt (Weltsicht) auf Angemessenheit und Wahrheit zu überprüfen. Anders gesagt: Natürlich kann man sowas nicht rational entscheiden, andererseits ist die 'Entscheidung' wie ich für mich diese Frage entscheide ja nicht das Ergebnis eines Drehens am Glücksrad...Und: Ich würde sagen, die abrahamitischen Religionen gehen nicht von einem unteilbaren Personenkern aus, sondern von einem Denken des Du. Es wird in Beziehungen gedacht, die Gegenüber voraussetzen...
Posted by: tobiK | Apr 23, 2007 at 08:20
als nicht-gläubige darf ich nicht an ein jenseits glauben - meine religion verbietet es mir:) ich würde deshalb sagen: es zählt nur das, was man in seiner lebenszeit so anstellt. basta. mehr als dieses eine leben hat man nicht, jedenfalls nicht verbrieft. alles andere ist spekulatius und somit fürs praktische leben unbrauchbar (jedenfalls für mein praktisches leben - ähm, da fällt mir auf: mein leben ist wahrscheinlich eh nur praktisch. das soll aber so.)
man darf aber auch scheitern. man darf überhaupt alles, nur sollte man jeweils überlegen, ob das, was man macht, gut und sinnvoll ist. bloß: in den meisten fällen ist es immer nur in der einen oder anderen hinsicht gut und sinnvoll und in anderen hinsichten nicht. bescheiden formuliert: man geht durchs leben und hofft, dass man meistens das richtige tut. oft tut man vielleicht nicht das richtige, aber man lernt immer, bis zum schluss. und sehr wahrscheinlich hat man zum schluss dennoch das gefühl, nichts gelernt zu haben. so ist das. zum schluss muss man wahrscheinlich ein bisschen leiden.
aus diesem gedanken, den man zum schluss hat, dass man vielleicht nicht alles gut gemacht hat, ergibt sich als tröstender reflex, dass man sich wünscht, nochmal eine chance in einem anderen leben zu bekommen. wie alle zweiten chancen ist das dann aber auch wieder mit neuen aufgaben behaftet. so ist das leben. hat man einen guten gedanken oder einen wunsch, gibt's gleich wieder saures als ausgleich:)
wenn man nun was komplett falsches gemacht hat und dafür dann in einem anderen leben entweder bestraft oder begnadigt wird - bleibt sich das nicht ziemlich wurscht im grunde? ich meine, fürs jetzt und hier. ist es nicht vielmehr im gegenteil ganz schön scheiße, wenn man beispielsweise was übles macht und es vor sich selbst damit rechtfertigt, dass man später eh begnadigt wird?
?
es gibt im judentum einen feiertag (jom kippur), an dem man sich überlegt, wie oder womit man anderen leuten geschadet oder weh getan hat. am anfang dieses festes wird bloß gebetet - aber dann soll man jeweils zu denen hingehen, denen man etwas "angetan" hat und sich entschuldigen. das finde ich gut! (und schwer übrigens.) es befriedigt sozusagen meine krankhaft psychologische sicht der dinge, denn im vollzug der reue liegt sozusagen alles, was _menschlich_ dazu nötig ist, um sich auch selbst mit den eigenen vergehen auszusöhnen. das gilt meines erachtens übrigens für alle ebenen, auch für die politische --> http://revirement.de/feldpost/?p=88
(falls der link nicht erwünscht ist, bin ich nicht sauer, wenn du den wieder rausnimmst.)
natürlich wird am ende des jüdischen festes jom kippur dann - wie bei allen anderen festen auch - lecker und viel gegessen und wein getrunken:) ich entnehme daraus, dass man das gute feiern soll, während man lebt und nicht erst im jenseits! und auch, dass der unteilbare personenkern psychologisch quatsch ist, sondern die "DUs" auf jeden fall realistischer und relevanter sind.
Posted by: itha | Apr 26, 2007 at 00:00
Danke für die Darstellung. So gesehen ist beim fernöstlichen Prinzip von Tod und Wiedergeburt tatsächlich ein Ende des Kreislaufs die einzig denkbare Erlösung.
Mir fiel dazu die Situation eines Alzheimerpatienten ein - scheint ähnlich, wobei der Maßstab entsprechend größer ist. Denn der so Erkrankte erinnert sich im Extremfall an jedem neuen Morgen nicht mehr daran, wer er gestern war - und das kann man sich durchaus als Fluch vorstellen.
Der Tod (bzw. das Nirvana) wäre zwar in beiden Fällen ein Ausweg, eine Genesung von der Krankheit und damit die Möglichkeit einer dauerhaften und stabilen Existenz, die nicht immer wieder vom Vergessen (oder vom Sterben) unterbrochen wird, könnte aber sogar noch eine bessere Option sein.
Posted by: Hermes | Apr 27, 2007 at 00:00