Vor kurzem hatte ich behauptet, dass wir Menschen unvermeidlich aufeinander angewiesen sind. Dies kann man ganz klar sehen an den (moralischen) Verletzungen, die wir einander zufügen können. Sie sind so etwas wie eine Negativfolie, mit Hilfe derer wir sehen können, wie sehr wir darauf angewiesen sind, dass andere uns anerkennen, damit man sich selbst anerkennen kann.
Warum können einen andere Menschen überhaupt so leicht verletzen und beleidigen?
Warum läßt es einen nicht kalt, wenn andere Leute dir zeigen, dass sie dich nicht leiden können?
Warum ist man so schnell verletzt, wenn andere einen auf einen Mangel von dir hinweisen, selbst wenn du diesen längst kennst?
Warum ärgert man sich, wenn jemand, der einen eigentlich kennt, dich nicht grüßt?
Warum selbst dann, wenn man eigentlich schon vorher dachte, dass der andere ein dummer Idiot ist?
Es liegt nahe zu sagen: Na, das ist eben so. Wir ärgern uns halt über andere, die sich doof gegenüber uns verhalten. Das ist doch eine Sache, die wir ständig erleben und die uns deswegen super vertraut ist.
Weil dieser Zusammenhang uns erst einmal logisch und selbstverständlich erscheint, ist die Gefahr groß, die grundlegende Bedeutung die er in sich trägt, wahrzunehmen.
Das andere Menschen uns so leicht verletzten können, zeigt, wie sehr wir darauf angewiesen sind, dass andere Menschen uns sagen wer wir sind und, dass dieses Feedback positiv ausfällt. Was andere Menschen über mich sagen, wie sie auf mich reagieren, kann mich nicht unberührt lassen. Denn: Auch wenn mein Körper mit meiner Haut eine klare Grenze hat, das, was mich ausmacht, was ich mein Innerstes und Eigenstes nenne, ist nicht einfach geschützt durch eine Mauer, an der die Reaktionen der anderen und das was sie über mich sagen abprallen kann. Nein, wenn jemand beleidigende Worte zu mir sagt, dann treffen mich diese im Innersten meines Herzens und verletzen dies.
Ein Grund warum ich denke, dass es problematisch ist von seinem Inneren und Äußeren zu reden, besteht darin, dass unser so genanntes ‚Inneres’ gerade nicht von einem ‚Äußeren’ schützend umgeben ist. Natürlich gibt es sowas wie meine Eigenheitsspähre, mein Bewußtseinsstrom, in dem ich mich als Mittelpunkt erlebe und der für andere unzugänglich ist. Hier ist für andere nicht sichtbar was ich fühle und denke. Aber auf der anderen Seite kann diese Eigenheitssphäre von anderen jederzeit durchbrochen werden, sie ist prinzipiell offen und verletzbar. Beispiel: Wenn jemand beleidigende Worte zu mir sagt, dann treffen mich diese im Innersten meines Herzens und es gibt keine mich schützendes Äußeres, was mich vor diesen Worten schützt.
Das, was wir Inneres nennen, wird in der Bibel ‚Herz’ genannt, dieser Begriff zeigt m.E. viel besser und deutlicher unsere grundsätzliche Verletzbarkeit, die unser Menschsein ausmacht und uns so aufeinander angewiesen sein läßt.
off-topic: kommt ein stöckchen geflogen... :)
http://revirement.de/feldpost/?p=434
Posted by: itha | Mar 21, 2007 at 22:25
zu thema: was du sagst, kann man wieder auch nicht-religiös, nämlich einfach psychologisch sehen.
anerkennung ist etwas sehr wichtiges, und viele beziehungen oder freundschaften scheitern daran, dass sie fehlt. oder vielmehr daran, dass die anerkennung für den anderen nicht ersichtlich ist. mit kritik ist man dagegen immer mal schnell bei der hand, und das macht dann zum schluss so ein unausgeglichenes konto: viel kritik auf der habenseite und auf der sollseite fehlende bestätigung. eigentlich sollte es so etwas wie ein verbrieftes menschenrecht auf anerkennung geben - also ein psycholgisches recht! und dann natürlich eine kultur oder praxis des gegenseitigen zeigens oder sich-sagens von anerkennung.
es ist übrigens auch einfach sehr deutsch, sich gute dinge nicht zu sagen. der andere muss doch von alleine wissen, dass ich ihn gut finde, ohne dass ich das ständig wiederhole - denn schließlich habe ich ihn ja als freund ausgewählt. und wenn ich ihn lobe, gerate ich entweder in den verdacht, dass ich ihm schmeichle (also verlogen bin und irgendwas eigennütiges im schilde führe!)oder er könnte sich so sehr freuen, dass er hochnäsig wird. statt dessen muss man sich aber auf jeden fall regelmäßig die dinge sagen, die einen am anderen stören, denn sonst kriegt der nicht mit, dass er sich ändern muss. so verquer ist unsere beziehungslogik. und das ist seit ein paar jahrhunderten in deutschland erziehungsmodell und fängt schon in der schule an.
Posted by: itha | Mar 22, 2007 at 10:24
Itha, danke für Stöcken (noch in Bearbeitung) und Kommentar! Erstens: Klar kann man das auch psychologisch betrachten - tue ich doch eigentlich auch, oder? Zweitens: Mit der deutschen Haltung gebe ich Dir vollkommen Recht und doch glaube ich nicht, dass das Problem der Lösung einfach mehr Anerkennung oder gar ein verbrieftes Recht auf Anerkennung ist. Dazu hoffentlich in einem späteren Post mehr. Jetzt nur so viel: Wenn jeder mich anerkennen würde, weil es seine Pflicht ist, dann würde die Anerkennung doch auch irgendwo witzlos bzw. die Anerkennung beträfe nur die Sache, nicht aber meine Person...
Posted by: tobiK | Mar 31, 2007 at 21:13
Ich greif mal gut theologisch das "Herz" auf, das gegen Ende Deines Textes ins Spiel kommt. Es stimmt: Gerade dass uns die Äußerungen der Anderen 'ins Herz treffen' können (aber auch mit Kierkegaard gesprochen 'von Grund auf auferbauen' können), zeigt die unabweisliche zwischenmenschliche Angewiesenheit.
Wie kann es jedoch gehen, dass wir vor dem Gefahrenpotential dieser ambivalenten Zwischenmenschlichkeit nicht zurückschrecken bzw. was kann uns dazu bringen, dass wir uns aus der 'Verkrümmung in uns selbst' (frei nach Luther und Kierkegaard) angesichts dieser Gefahr herauswinden können, um - ich sag' mal so salopp - Subjektivität und Intersubjektivtät positiv zu gestalten?
Für Luther gibt es eine Sphäre des Innen, die vielleicht nicht vollständig abgeschottet von den äußeren Bewegungen ist, von der er allerdings in "Von der Freiheit eines Christenmenschen" (1520) sagt: "Dieser Dinge [körperliches oder soziales (Luther nennt hierbei kirchliche Praxen) Wohlergehen oder Leiden] reichet keines bis an die Seele, sie zu befreien oder zu fangen, fromm oder böse zu machen." (Vgl. "Von der Freiheit": "Zum dritten" und "Zum vierten"). Dieser "innerliche Mensch", die "Seele" oder das "Herz" ist der Ort, an dem der Mensch im Glauben Zuversicht fassen kann, dass vor Gott "alles wohlgetan [ist], was der Mensch tut." (Vgl. "Von den guten Werken" (1520): "Zum dritten", "Zum vierten" und 1Joh. 3,19ff., der hier zitiert wird.)
Die Zuversicht, dass Gott 'Wohlgefallen' an dem Menschen hat, geht jeder Aktivität voraus (ist also nicht Resultat der eigenen Errungenschaften), und bildet die Grundlage für jedes "Gute Werk". Dies beinhaltet die 'positive Gestaltung der Subjektivität und Intersubjektivität' als "gutes Werk" im Sinne Luhters. Diese Zuversicht bildet sich eben im geschützten Innenraum des Herzens.
Mit Luther kann ich also ein Plädoyer für die Rede vom Innen und Außen des Menschen halten, die entscheidende Spezifizierung liegt wohl aber darin, dass das Innen des Menschen ('innerlicher Mensch', 'Seele', 'Herz') nicht durch sein Außen geschützt ist (wogegen Du Dich in Deinem Text auch kritisch wendest). Bei Luther liegen Innen und Außen der Person selbst miteinander im Streit ("Von der Freiheit": "Zum zwanzigsten"), wichtiger ist jedoch herauszustellen, dass das Innen tatsächlich der Ort bleibt, an dem der Mensch vor den äußeren Gefährdungen geschützt ist. Das Zustandspassiv stellt heraus, worin die Pointe liegt: Nicht er schützt sich selber, sondern er ist geschützt durch die wohlwollende und umfassende Zuwendung und Zusage Gottes zu seinem Dasein.
Dies wäre dann zunächst einmal eine fromme und potentiell erbauliche Rede von dem Innen und Außen der Person - interessant wird es jedoch, wenn man diese Perspektiv auf das Problem der Ambivalenz der Zwischenmenschlichkeit anlegt. Da sich hier eine Möglichkeit eröffnet, eine grundlegende Zuversicht 'im Herzen' zu fassen, die von Äußeren Geschehnissen zwar angefochten aber im Grunde nicht aufgehoben werden kann, stellt sich die ambivalente Zwischenmenschlichkeit immer weniger als Gefahr und immer stärker als Möglichkeitsraum Subjektiver und Intersubjektiver Kreativität dar. "Feuer frei!" für die 'positive Gestaltung von Subjektivität und Intersubjektivität' anstatt "Feuer frei!" auf meine Mitmenschen (und letztlich mich selbst).
Posted by: klaus-henning | Apr 03, 2007 at 19:10
@klaus-henning: Vielen Dank für Deine Beitrag und 'shame on me', dass ich erst jetzt antworte. Du machst mit Luther einen wichtigen Punkt: Die Zuversicht der Gnade Gottes kann uns dabei helfen uns in die Gefahren des Lebens zu schmeissen. Jedoch: Nur weil wir von unserer kulturellen Denkungsart nicht anders können, als diesen Prozess des Zuversichts bekommen im Inneren des Mensche zu verorten, heißt dies noch nicht, dass damit ein Punkt für die Trennung von Innen und Außen gemacht ist. Ich halte es vielmehr für äußerst problematisch diese s Zuversichtfassen als einen inneren Prozess zu betrachten (der zudem vollzogen werden muss, bevor ich zuversichtlich genug bin mich ins 'äußere' Leben zu schmeissen. M.E. ist das doch genau woran wir Kranken, d.h. daraus resultiert, dass wir immer wieder einen gesichrten inneren Zustand suchen von dem aus wir genügend Sicherheit haben uns ins Leben zu schmeissen. Da wir diesen nicht erlangen führt dies aber - in Luthers Terminus - zu einer immeren tieferen Verkrümmung des Menschen und zur Isolation von Welt und anderen Menschen.
Posted by: tobiK | Apr 19, 2007 at 22:55
das finde ich auch. innere sicherheit bekommen leute in erster linie durch bestätigung und zuwendung von anderen. die "grundlegende zuversicht", von der oben die rede ist, kann der eine oder andere vielleicht als resultat aus zuneigung von "gott" interpretieren, aber dann wirkt "gott" in diesem zusammenhang ja auch eher wie ein mensch, den man sich vorstellt. genau weiß ich das natürlich aber nicht, weil ich gott nicht kenne. mir scheint nur: menschen, die einen gern haben und das auch zeigen, sind irgendwie besser als ein bloß gedachtes oder geglaubtes wesen, das einen gern hat. muss man nicht außerdem durch erfahrungen mit menschen überhaupt erst einmal einen begriff von zuwendung, liebe, gernhaben, solidarität, loyalität etc. haben, um sich das im zweifelsfall beim vermissen davon sozusagen als ersatz dafür gedanklich selbst hinzubasteln?
Posted by: itha | Apr 20, 2007 at 20:53
nach langer zeit stolpere ich wieder über diese übelegungen zu innen und außen. ich hatte schon damals beim schreiben so ein unsicheres gefühl, dass ich wieder auf der eine seite (klassisch christlich) herunterfalle: im sinne von mach ertsmal das herz rein und gut und sicher ..., dann kannst du auch gute dinge tun. das ist zwar m.E. nicht ganz so passiert, geht aber doch wieder in die richtung und die beiden kommentare hierzu weisen auch darauf hin.
Mich hält aber weiterhin di e Frage nach dem "Herz" fest. mit herz wird sowohl in der biblischen als auch in der theologischen, philosopischen und nicht zuletzt der alltagssprache etwas bezeichnet das in den prozessen von selbstverhältnis und intersubjektivität eine zentrale rolle spielt. (bei sarte findet sich die bemerkung, dass der blick des anderen mich 'ins mark' treffen kann. das geht m.E . in dieselbe Richtung.)
ich möchte hier nur zwei kurze anmerkungen machen, teilweise in aufnahme von o.g. gedanken.
1. es geht hier um das (tatsächlich auch existenzielle) spannungsverhältnis von aktivität und passivität. Was sich am Herzen (Ich bleibe mal metaphorisch, könnte aber auch einfügen 'Selbst' o.ä.)ereignet ist nie einfach aktiv oder passiv. Bsp.: Bestätigung der Person bekomme ich nicht einfach nur zugesprochen, sondern ich muss sie immer auch annehmen. Der andere kann also nicht einfach in meine Verfasstheit als Person eingreifen, ich muss mich zu der Bestätigung, die er mir "geben" will selbst aktiv verhalten indem ich sie "annehme". Dies kann durchaus auch zu Problemen führen, wenn ich z.B. merke dass ich gerade an bestimmten Punkten, an denen ich Verunsichert bin, Bestätigung, die andere mir mitteilen wollen annehmen kann. (Wobei hier natürlich auch ein wichtiger Aspekt von Freiheit und Verantwortung der Person thematisch ist.)
2. Was am "Herz" geschieht, geschieht immer in spezifishen Situationen, was darauf zielt, dass ich immer in Handlungskontexten stehe. Mal ganz abgekürzt gesagt: Ich kann mir eine feste Hoffnung (gerade auch chrsitlich im zusammenhang mit einem dubiosen "festen Glauben") eben nicht im Vorab erarbeiten. Meine Hoffnung ist immer als Hoffnung einer bestimmten Stuation. Das Vorab-Erarbeiten-Wollen ist nichts anderes als der Ausdruck von Angst oder Furcht in der man sich in sich selbst zurückzieht und sich letzlich vor Handlung, Äußerung, Mitteilung (schließlich auch Leben überhaupt) verschließen will.
Posted by: klaus-henning | Sep 15, 2007 at 17:11
RECHT_SCHREI_BUNG
Mit Entschuldigung besonders auch für meine Interpunktion ...
Nur eine Korrektur, sonst wäre wenigstens dieser Satz ganz unverständlich:
In "... Bestätigung, die andere mir mitteilen wollen annehmen kann ..." fehlt das NICHT.
Daher sollte es heißen: "Dies kann durchaus auch zu Problemen führen, wenn ich z.B. merke, dass ich gerade an bestimmten Punkten, an denen ich verunsichert bin, Bestätigung, die Andere mir mitteilen wollen, NICHT annehmen kann."
Posted by: klaus-henning | Sep 15, 2007 at 19:43
Vielen Dank Henning!
Deine Bemerkungen sind sehr gute Ergänzungen, kann sie nur voll unterstreichen. Mir ging es ja auch nie darum, die Realität des Herzens zu verleugnen, aber wie wir diese fassen können, ohne von einer Seite vom Pferd zu fallen, ist eine gute und wohl noch lange nicht richtig beantwortbare Frage. Eben jenseits von Aktiv und Passiv, aber das läßt sich für uns schwierig denken. Der Phänomenologe Waldenfels hat da viel zu gearbeitet, werde ich mich in absehbarer Zeit für meine Diss wohl mal etwas mehr mit ihm beschäftigen, vielleicht komm ich da an diesem Punkt ein bisschen weiter.
Posted by: tobiK | Sep 23, 2007 at 12:29