Heute ein weiterer Teil zum Thema Attraktivität und
soziale Ungleichheit (Teil 1, Teil 2, Teil 3):
Die Soziologin Cornelia Koppetsch bezeichnet körperliche Attraktivität
als die Fähigkeit „Blicke auf sich zu ziehen“. Die Macht von Attraktivität und
Schönheit besteht in der Möglichkeit der „Akkumulation von
Aufmerksamkeitskapital in Interaktionen“. Aufmerksamkeit wäre dabei die
kleinste Münze sozialen und kulturellen Kapitals, der Wertschätzung in
alltäglichen Interaktionen. Alltagsinteraktionen, die aus dieser Perspektive
vor allem als ein fortlaufender Tausch von Beachtung anzusehen sind, prägen den
Selbstwert des einzelnen Menschen. Je attraktiver ein Mensch ist, desto stärker
hat er die Möglichkeit die „Aufmerksamkeitsbilanz“ zu seinen Gunsten zu
verschieben und einen hohen Selbstwert zu gewinnen. „Attraktivität wird dann zu
einem Beachtungskapital, wenn die Menge an Beachtung durch Dritte in die Wertschätzung
eines Anderen mit einfließt.“
Cornelia Koppetsch siedelt Attraktivität im Spannungsfeld zwischen Körperschönheit und Darstellungskompetenz an. Sie schildert eine Untersuchung die ergab, dass Schönheit, Charisma (Ausstrahlung) und Authentizität (Natürlichkeit) die zentralen Dimensionen der Thematisierung von Attraktivität sind. Das Charisma umgibt die attraktive Person mit einem gewissen ‚Glanz’, einem gewissen Prestige, welches die Bessergestelltheit als ein gutes Recht erscheinen lässt. Die Schönheit, das gute Aussehen, beruht vor allem auf dem vorgegebenen Schönheitsideal. Und unter Authentizität wird vor allem verstanden, dass gutes Aussehen nicht aufgesetzt, puppenhaft oder aufgemalt wirken darf. Es wird verlangt, dass der Stil der äußeren Erscheinung mit dem inneren Sein gedeckt ist.
Interessant an dieser Stelle ist, dass die Bedeutung die den einzelnen Dimensionen für die Beurteilung von Attraktivität zugemessen wird, sowohl von Milieu, wie auch vom Geschlecht abhängig ist. So beurteilen Frauen ihre Attraktivität stärker auf der Grundlage ihrer geschätzten körperlichen Schönheit, während Männer der Meinung sind, dass die Attraktivität einer Frau vor allem von der persönlichen Ausstrahlung abhänge. Und je höher die Bildung der befragten Männer, desto stärker waren sie dieser Meinung. (Allerdings muss man in diesem Zusammenhang wahrscheinlich von einer nicht unerheblichen Diskrepanz zwischen Aussage und Verhalten ausgehen. Guggenberger nennt dies die „Schönheitsheuchelei“. Untersuchungen zeigten, dass Probanden bei Befragung über besonders wichtige Kriterien des Kennenlernens durchwegs innere Werte nannten. Wurde jedoch das tatsächliche Verhalten beobachtet, dann zeigte sich, dass in der Situation des Kennenlernens nahezu ausschließlich die äußere Attraktivität den Ausschlag gab.)
Dies entspricht denn auch der Logik der sozialen Distinktion. Man distanziert sich von den Standards rein körperlicher Schönheit um seine soziale Höherwertigkeit behaupten zu können. Vergleicht man die Attraktivitätsbeurteilung von Frauen und Männern, so werden Frauen im Vergleich stärker auf der Basis körperlicher Schönheit beurteilt, Männer stärker auf der Basis der Ausstrahlung.
Insgesamt scheint es immer
wichtiger zu werden, dass Schönheit als eine Eigenschaft der individuellen
Persönlichkeit präsentiert wird, also als eine dauerhafte Qualität der
Persönlichkeit. Allzu starke und offensichtliche Verschönerungsmaßnahmen werden
dort, wo das Authentizitätsdiktum
herrscht, wo also gefordert wird, dass Innen und Außen der Person in Einklang
stehen sollen, als Bekenntnis defizitärer Innerlichkeit, und somit als
moralisches Problem gesehen: „Übertriebenes Frisieren, Fasten, ‚Sich-Zurechtmachen’
und Schwitzen kann leicht zum Zeichen einer kritiklosen Unterwerfung unter
Schönheitsideale und – schlimmer noch – zum Eingeständnis körperlicher und
persönlicher Unvollkommenheit geraten.“
Das widersprüchlich-paradoxe dieser Situation, das Aufeinanderprallen des Schönheits- und Authentizitätdiktums und die Problematik die daraus erfolgt, wird im folgenden Zitat von Cornelia Koppetsch noch einmal knapp, doch luzide zusammengefasst: „Aus der Position des Individuums eröffnet ein Attraktivitätskode, der Ausstrahlung in gleichem Maße an Körperschönheit wie an die Forderung nach Authentizität bindet, somit eine Kluft zwischen den Gratifikationen des herrschenden Körperideals und den Ansprüchen an ein unverfälschtes Erscheinungsbild.“
Von einem Schönheitsdiktum kann man sprechen, weil mit der zunehmenden „Machbarkeit“ von Schönheit durch Kosmetik, Fitnessprogrammen, Beautyfarm und vor allem der Schönheitschirugie der „Zwang“ zur Schönheit wächst. Für seine Attraktivität ist immer mehr das Individuum selbst verantwortlich.
Hast Du irgendwelche heißen Quellen zum "Ausstattungsproblem"?
Vielleicht ist ja besagte "Akkumulation von Aufmerksamkeitskapital in Interaktionen" (oder: Einschätzung des Verhaltens unter der Einbeziehung des eigenen Verhaltens und des Verhaltens Dritter)zwingend erforderlich oder zumindest zum guten einsetzbar. Bei Mike's Netzdemokratie-Themen
Posted by: andy | Feb 28, 2007 at 09:47
......wird ja ersichtlich, dass das Netz nicht zufällig ist, sondern menschliche Bindungsmustern widerspiegelt. Aber ich warne: Das heißt nicht, dass das gut ist (Evolutionspsychologie), sondern dass es so ist und verwaltet werden muss.
Posted by: andy | Feb 28, 2007 at 09:49
Nein, tut mir leider. Habe da keine heiße Tipps...
Posted by: tobiK | Feb 28, 2007 at 23:45