Nach langer Zeit hier endlich ein weiteres (wichtiges) Kapitel aus ‚How (Not) To Speak Of God’ (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4):
Das zweite Kapitel heißt ‚Die Zeit nach der Theologie’. Rollins bekräftigt noch einmal seine These aus dem letzten Kapitel, am Beispiel der Pharisäer: Das zentrale Problem der Pharisäer zur Zeit Jesu war, dass sie so sehr auf ihr Bild/ ihre Interpretation des kommenden Messias fixiert waren, dass sie diesen nicht erkannten, als er leibhaftig vor ihnen stand.
Rollins plädiert für eine A/Theologie, die einerseits anerkennt, dass wir immer noch von Gott sprechen müssen, andererseits aber begreift, dass dieses Sprechen notwendig in dem Versuch Gott zu definieren, scheitern muss. Das Ergebnis einer solchen A/Theologie ist nicht, dass wir etwas anderes denken, ein Wechsel darin, wie wir denken.
Ein Weg das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen zu verstehen ist, auf die Unterscheidung zwischen dem Wissen, welches wir von einem Objekt und dem Wissen, welches wir von einem Subjekt haben können, zu betrachten. So unterscheidet sich Lust und Liebe davon, ob wir die andere Person nur zu einem Mittel (Objekt) machen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, oder ob die andere Person, für uns wirklich eine andere Person (Subjekt) ist, deren eigene Bedürfnisse wir anerkennen und die immer schon ein Zweck in sich selbst ist.
Gott darf niemals zum bloßen Gegenstand (Objekt) unserer Überlegungen reduziert werden, denn im Glauben wird Gott als das ultimative Subjekt erfahren. Gott ist kein theoretisches Problem, das irgendwie gelöst werden muss, sondern ein Geheimnis an dem man teilhaben kann.
In der Bibel wird diese Perspektive bestätigt, da ‚Wissen’ im Hebräischen keine korrekte Beschreibung objektiver Fakten ist, sondern vielmehr bedeutet, in eine intime Beziehung verwickelt zu werden. Religiöse Wahrheit ist daher eher etwas, das die Wirklichkeit verändert und weniger etwas, das die Wirklichkeit korrekt beschreibt.
Indem eine A/Theologie versucht Zweifel, Ungewissheit, Komplexität und dem Geheimnisvollen einen angemessenen Platz einzuräumen, wird bekräftigt, dass Gottes Interaktion mit der Welt nicht auf menschliches Verständnis reduziert werden kann, weil Gottes Anwesenheit (presence) eine Überanwesenheit (hyper-presence) ist. Das bedeutet, dass Gott nicht nur unseren Verstand, sondern auch unsere Sinne übersteigt. (Darin liegt für Rollins auch der ‚Sinn’ von ‚Alternative Worship’, bei dem, mit Hilfe von Kreativität und Kunst, versucht wird, nicht nur über Verstand und Sprache, sondern mit allen Sinnen Gott zu erfahren.)
Aus der bisherigen Diskussion scheint sich ein Verständnis von Gott zu ergeben, das Gott als radikal transzendent beschreibt (Gott als der ganz Andere). Diese Transzendenz, also, das Gott unseren Verstand und unsere Sinne übersteigt und überschreitet, resultiert jedoch nicht daraus, dass Gott so fern und abgeschieden von uns ist, sondern daraus, dass Gott radikal immanent (innewohnend) ist. Diese Art von Transzendenz-Immanenz kann Hypernymität genannt werden. Während Anonymität uns zu wenig Informationen gibt, damit wir etwas erkennen können (zB. eine Person im Fernsehen, die verdeckt gezeigt wird, um ihre Identität zu wahren), gibt uns Hypernymität zuviel Informationen.
Wie wir gesehen haben, sollten wir unsere Sicht von Gott bejahen und zur gleichen Zeit realisieren, dass diese Sicht unangemessen ist. Somit handeln wir gleichzeitig wie Theisten und Atheisten. Dieser A/Theismus ist jedoch nicht die agnostische Mitte, die sich nicht zwischen Theismus und Atheismus entscheiden kann und will, sondern der A/Theismus versucht beide Gegensätze aus einer tiefgläubigen Haltung zu umfassen.
Ein A/Theismus pendelt permanent zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen, zwischen Wissen und Nicht-Wissen hin und her. Doch das Nicht-Wissen des A/Theismus ergibt sich nicht aus einer Faulheit und Gleichgültigkeit des Verstandes, sondern ist Ausdruck einer tiefgehenden Reflexion und einer fortwährenden Meditiation.
A/Theologie ist somit auch eine Antwort auf den Fundamentalismus, der sich mehr auf seinen eigenen Glauben bezieht, als auf das, was er glaubt. Es geht mehr um den Glauben an sich und weniger um das, was er glaubt, den Inhalt seines Glaubens. Ein Fundamentalist besitzt ein Glaubenssystem oder Weltanschauung, das alle anderen Glaubenssysteme oder Weltanschauungen per se ausschließt und diese umso stärker ablehnt, je stärker diese sich, von seiner Anschauung entfernen. Im Gegensatz dazu kann ein a/theistischer Ansatz als eine Art und Weise der Ungläubigkeit des eigenen Glaubens gesehen werden. Mit anderen Worten: Es geht darum an Gott zu Glauben, während man gleichzeitig absichtlich im Zweifel über das verbleibt, was man über Gott zu glauben meint.
Der Punkt ist nicht, dass das, was wir Glauben in-sich problematisch wäre, aber das, was wir Glauben wird in dem Moment problematisch, indem es seinen (notwendig) provisorischen und unfertigen Charakter verläßt. Dieser a/theistsche Ansatz darf also nicht missverstanden werden als eine vorläufige Stufe des Zweifelns auf dem Weg zu geistlichen Reife. Vielmehr ist der Zweifel des A/Theismus notwendiger Bestandteil des Glaubens, mit der Funktion unsere flüssigen Bilder von Gott davor zu bewahren in die feste und starre Form des Götzenbildes abzukühlen.
(meta mäßig abschweifend:)
ein Problem unseres Denkens ist das Denken in Definitionen und geschlossenen Theorien. Nichts steht auf einem anderen Blatt! Trotzdem ist alles für sich zu lösen! Geht aber nur, wenn ich vorher nicht zu viel anderes definiert habe und noch Bewegung im Spiel ist. Irgendwann lacht man über die Epoche, in der man die Welt errechnete und festlegte, was Worte bedeuten, hoffentlich.
Posted by: andy | Jan 28, 2007 at 16:48
"...sondern daraus, dass Gott radikal immanent (innewohnend) ist."
Da würde mich interessieren: In was innewohnend? In dieser Welt, also Offenbarung durch Schöpfung? Oder wie ist das gemeint?
Posted by: Alex | Jan 29, 2007 at 14:05
@Andy: Aber wir können ja nicht anders und sollten in gewissem Sinne doch auch nicht anders, sonst würde ja letztlich nichts mehr einen Unterschied und damit nichts mehr Sinn machen. Ein großer brauner, indifferenter Haufen von Differenzen. Stattdessen sind wir wohl voerst zu der Sysyphusarbeit 'define and destroy, define and destroy' verdammt.
@Alex: Gute Frage, danke. Das habe ich mich an der Stelle auch gefragt. Erläutert er aber nicht weiter. Jedoch bringt er dort noch das Beispiel von dem Sonnenstrahl, den wir direkt nicht ansehen können, der aber alles andere 'beleuchtet' und uns zeigt.
Ja, ich würde sagen innewohnend 'in' seiner ganzen Schöpfung. Ich würde aber nicht sagen 'Offenbarung durch Schöpfung', das klingt schon wieder so reduzierend. Damit wird ja meistens gemeint, man nimmt durch die Schöpfung den Schöpfer war, im Sinne von - platt gesagt: Ah schöne Natur, da denk ich mir, das muss das wohl der Gott gemacht haben. Aber das ist doch wieder eine Sache, die mental und bewußt geschieht und ich glaube Gott radikal immanent, heißt Gott offenbart sich tatsächlich auch durch Materie. Ach Mist, man kommt aus diesem Geist-Materie-Dualismus einfach nicht heraus...
Verstehst Du was ich meine: Gott durchdringt alles, nicht nur unsere Köpfe und nicht nur unsere Herzen. Und Gott ist so unerkennbar nicht weil er so weit weg ist, sondern weil er zu nahe ist!
Posted by: TobiK | Jan 29, 2007 at 19:19
Mhm, okay. Scheint mir ziemlich auf einer Linie mit dem zu sein, was Walter Wink in "The Powers That Be" beschreibt. Er nennt das Panentheismus. Pantheismus heißt: Alles ist Gott. Panentheismus: Gott durchdringt alles.
Peter Aschoff ist ja der Wink-Experte, der müsste das wissen. Peter, hörst du uns hier?
Posted by: Alex | Jan 30, 2007 at 09:47
Genau, entscheident scheint mir hier zu sein, dass Gott zwar alles durchdringt, das aber nicht heißt, dass alles mit Gott identisch ist, sondern Gott im Gegenteil ein Gegenüber ist.
Posted by: TobiK | Jan 30, 2007 at 10:23
Was mir hier allerdings noch fehlt in der Gleichung ist Jesus. Und ich finde, dass ist nicht unentscheidend.
Man kann natürlich mit seiner Theorie durchaus auch die Dreieinigkeit als Konstrukt abtun (deshalb find ich auch, dass er einen Tick zu scharf formuliert), aber wenn Jesus Gott ist und die Aussage stimmt, dass er das Abbild des lebendigen Gottes ist, könnte man Rollins recht gut damit abtun, dass er lediglich den Zustand VOR der Inkarnation beschreibt und jetzt nach der Inkarnation alles radikal anders ist, weil Gott sich in Kultur und Geschichte gegeben hat und man damit wieder ganz andere Kriterien der Untersuchung hätte, als eine bloße philosophisch-spekulative.
Posted by: Arnachie | Feb 03, 2007 at 19:31