Heute also der zweite Teil des ersten Kapitels "Gott befreie mich von Gott" und damit insgesamt Teil 4 der Zusammenfassung von Peter Rollins Buch 'How (Not) To Speak Of God' (Teil 1, Teil 2, Teil 3)
Das Wort Ideologie und das Wort ‚idolatry’ (Götzendienst) entstammen beide aus dem griechischen Terminus ‚eidos’ (Wesen), dies hilft uns zu verstehen, was Götzendienst im Kern wirklich bedeutet. Als Götzendienst kann jeder Versuch, sich ein Abbild vom Wesen Gottes zu machen, verstanden werden. Dies kann der Versuch sein, Gott in ein materielles Abbild (z.B. als eine Statue, wie das Goldene Kalb) oder aber in ein geistiges Abbild (z.B. als ein theologisches System) zu bringen. Der einzige Unterschied liegt darin, dass der eine Versuch Gott auf ein materielles, der andere Gott auf ein geistiges Objekt reduziert.
Die Bibel ist keineswegs arm, sondern vielmehr exzessiv, was Beschreibungen und Bildern von Gott angeht. Statt einer einzigen, schlüssigen und klaren Definition finden wir eine große Bandbreite an miteinander konkurrierenden Erzählungen über den Charakter Gottes, die zudem auch noch stets sehr eng mit den konkreten Umständen derer verbunden sind, die diesen Erzählungen einwohnen. Wie das Ergebnis eines Persönlichkeitstest nur ein äußerst eingeschränktes, verzerrtes und statisches Bild einer lebenden Person abgeben kann, so hat die westliche Theologie, die wundervoll verschiedenartigen und komplexen Schilderungen des Charakters Gottes, die wir in der Bibel finden können, gewaltvoll auf ein einheitliches, statisches und einfaches Bild reduziert.
Die Geschichte vom goldenen Kalb wird oft verstanden als eine rebellische Abwendung von Gott. Im Text selbst steht jedoch, dass das goldene Kalb eigentlich nicht als eine Alternative zu, oder eine Verdinglichung von Gott gedacht war, sondern nur als eine visuelle Hilfe für die Anbetung.
Überhaupt enthält das Alte Testament eine ganze Reihe von Warnungen das Göttliche nicht in gegenständliche Form zu pressen, da Gott nicht mit der menschlichen Vernunft (logos) begriffen werden kann.
So wird z.B. das Wort chosek nicht nur zu Beginn der Genesis benutzt, um die Dunkelheit zu beschreiben, die über dem Wasser brütet, zu beschreiben, sondern auch für den undurchdringbaren Schleier, der uns vor YHWH´s unmittelbarer Anwesenheit schützt. Wörter wie ´araphel (Dunkelheit) und ´anan (Wolke) werden benutzt, wenn von der ‚Erscheinung’ des Göttlichen berichtet wird – z.B. in 2. Mos. 20,21: „So stand das Volk von ferne, aber Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war“.
Oder Jesaja benutzt das Wort carthar, um eine beabsichtigte Verborgenheit der göttlichen Anwesenheit zu beschreiben, ein Wort das mit Wörtern wie Abwesenheit, Verheimlichung und Geheimnis verknüpft ist (Jes. 45, 15: „Fürwahr, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, der Heiland“). Auch im Wort für ‚Heiligkeit’ klingt stark an, dass es um ein Gott geht, der jenseits alles Verstanden-werden-könnens steht.
Auch im Neuen Testament wird vor der ‚Lust der Augen’ gewarnt, die das Sichtbare verherrlichen (vgl. Röm 8,18 oder 1. Joh. 2,16) und es wird reflektiert über Gottes unsichtbares Wesen (Joh. 1,18: „Niemand hat Gott je gesehen“), sein Unzugänglichkeit (1. Tim. 6,16: „der da wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann“), seine Unaussprechbarkeit (2. Kor. 12,4: „der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann“), sowie sein unerforschbares Wesen (Röm 11, 33b: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“).
Und mit Kolosser 2,8 („Seht zu, daß euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus.“) warnt Paulus uns vor menschlichen Abstraktionen, die dazu führen können, dass wir uns in menschlichen Konzepten und Denksystemen verfangen. Es ist genau dieser Götzendienst vor dem uns auch Johannes (Joh. 5,37: „Ihr habt niemals seine Stimme gehört noch seine Gestalt [eidos] gesehen.“) und Paulus (2. Kor. 5,7: „denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen [eidos]“ warnen wollen.
Mit der Ideologiekritik der Philosophie wie der Verurteilung jeglichen Götzendienstes in der Bibel ist keineswegs die Möglichkeit zum Glauben vernichtet, doch wird damit die Möglichkeit eines fundamentalistischen Glaubens unterhöhlt, der aus dem Glauben eine Tatsachenwahrheit macht und die eigene Sicht Gottes und des Glaubens für die einzig richtige hält. Es zeigt sich, dass Offenbarung nicht das Gegenteil von Verborgenheit ist, sondern diese im Kern immer schon enthält. Es gibt nicht eine verborgene und eine offenbarte/sichtbare Seite Gottes, sondern die offenbarte Seite Gottes ist zugleich die verborgene.
Daher sollte Offenbarung nicht als etwas gesehen werden, dass uns Gott enthüllt oder als etwas, dass uns Gott gerade nicht zeigt, sondern als überwältigende Licht, das uns den unzeigbaren Gott zeigt, das uns mit dem unerkennbaren Gott bekannt macht. Die Offenbarung wirft Licht auf das Geheimnis Gottes, das in der Offenbarung für uns zugleich Geheimnis bleibt. Wie ein Baby, das von seiner Mutter gehalten wird und die Mutter nicht verstehen, wohl aber erfahren kann, dass seine Mutter es kennt und versteht.
Im Gegensatz zu diesem Verständnis wird unter Offenbarung häufig etwas verstanden, was entziffert und in ein dogmatisches System gepackt werden kann. Doch Offenbarung ist kein Dogma, das wir besitzen könnten, sondern in und durch die Offenbarung will Gott uns verändern und transformieren. Wie ein Baby in den Armen seiner Mutter, das die Mutter nicht umarmen kann, das jedoch durch die Umarmung seiner Mutter verändert wird. Zentral ist daher nicht, dass wir die Offenbarung auf einzig richtige Weise interpretieren, sondern dass wir sie lieben und von ihr und durch sie transformiert werden.
Entscheidend bei all dem ist die unüberwindbare Differenz zwischen unserem Verständnis/ Bild von Gott und Gott, wie er wirklich ist. Das Problem jeglichen Götzendienstes ist nicht, dass fälschlicherweise behauptet wird, dass man eine Beziehung zu Gott hat, sondern, dass fälschlicherweise behauptet wird, man könne den Gott, mit dem man in einer Beziehung steht, verstehen.
Im nächsten Teil: "In der Zeit nach der Theologie".
Ich finde halt hier hätte er nochmal auf das "Wie" eingehen sollen. Das es nicht entscheidend ist, ob man sich Bilder macht, sondern wie man an ihnen festhällt. Das man sich auf jedenfall Bilder macht, hat ja CS Lewis ganz nett herausgestellt. Denn wenn man krampfhaft versucht keine menschlichen Metaphern und Begriffe zu benutzen, stellt man sich Gott am Ende als eine Art amorphen kosmischen Wackelpudding vor (oh ich liebe manchmal CS Lewis Bilder).
Es geht ja Rollins nicht darum, dass man jetzt in guter iconoclastischer Tradition Bibleotheken stürmt und alle Systematisch theologischen Schriften verbrennt. Sobald man sich ein Bild macht (und selbst "Gott steht über unseren Begriffen" ist ja eines) kann man sich auch gleich ein größeres Bild machen. Nur man sollte die Vorläufigkeit nicht vergeßen.
Ich finds halt auch manchmal ein bisschen unfair das hebräische Denken gegen das Griechische auszuspielen. Wenn das hebräische Denken mehr das Hören betont, dann würde es ja doch auch "gehorchen oder nicht" hinauslaufen. Durch das Griechische Denken kam ja erst Perspektive das heißt Diskussionspielraum- den er ja sehr schätzt- in die Religion.
Ich finds übrigens ganz gut, dass er nicht, wie man leicht machen könnte, Poesie gegen abstrakte Sprache völlig ausspielt. Wobei es natürlich stimmt: eine bildreichere Sprache könnte allen nicht schaden.
Posted by: Arnachie | Jan 13, 2007 at 01:51
Hey Arne, vielen Dank für Deine hilfreichen Gedanken!
Ist Rollins hier zu einseitig? Ja und Nein. Einerseits kann ich Deine Bedenken und Einwände gut verstehen, ich denke auch, er hätte klarer machen können, dass der Götzendienst nicht im sich ein Bild machen besteht, sondern sich ein Abbild machen, d.h. das Bild für das Original zu halten. Andererseits finde ich es auch gut, dass er hier so provozierend einseitig ist, denn mir kommt es oft so vor, dass wir aus diese Differenz (unser Bild von Gott/ Gott) für eine Binsenweisheit halten, die heftig benickt wird, die aber nahezu keine Auswirkungen auf den eigenen Glauben hat, weil sie irgendwie doch nicht ernstgenommen wird...Rollins versuch das ernstzunehmen und seine Einseitigkeit fordert heraus...
Du hast ganz Recht, die Lösung kann nicht sein, dass wir uns kein Bild von Gott machen, das geht sowieso nicht. Rollins plädiert auch sehr deutlich (das ist in meiner Zusammenfassung etwas unter den Tisch gefallen) nicht dafür, sondern im Gegenteil für eine Vielfalt von Bildern...Letztlich denke ich geht es darum, dass das Bild nicht zum Gott wird, doch dies geht schneller als gedacht und ist wohl eher der Normalfall als die Ausnahmen...
Die Sache mit dem hebräischen und dem griechischen Denken ist natürlich noch ein viel größeres Thema. Im Grunde gebe ich die Recht, es geht ja nicht darum, dass das hebräische Denken richtig und das griechische falsch ist, und doch ist das griechische Denken Teil unseres 'Götzendienstes' wie ich denke, d.h. wir sind so stark darin verfangen, dass uns etwas einseitige Kritik von Seiten des hebräischen Denken so schnell nicht schaden kann...
Posted by: TobiK | Jan 13, 2007 at 21:16