Einführung – Das Geheimnis
Rollins schreibt, dass im Laufe der Geschichte so viel Tinte verbraucht wurde, um über Gott zu schreiben und soviel Blut in seinem Namen verflossen ist, dass ihn jedes Mal der Gedanke erschaudert über Gott zu schreiben. Dieses Bedenken findet Ausdruck in dem berühmten Schlusssatz des Philosophen Ludwig Wittgenstein in seinem Werk ‚Tractatus Logico-Philosphicus’: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Dass er trotzdem die Seiten seines Buches nicht weiß gelassen hat, liegt wohl daran, dass Rollins stark in der evangelikalen-charismatischen Bewegung engagiert ist. Hier lernte er eine ganz andere Art der Weisheit, die er niemals hinter sich lassen konnte: „Gott ist die eine Sache über die wir niemals zu sprechen aufhören dürfen.“
Auch wenn diese zwei Positionen sich wie Öl und Wasser zueinander zu verhalten scheinen, gelang es Rollins nicht, eine der beiden Positionen zu verlassen. Wenn die eine Seite überwiegte stand er in der Gefahr einem mystischen Humanismus zu verfallen, betonte er zu sehr die andere Seite, begann er in Richtung eines religiösen Fundamentalismus zu driften. Während dieser Krieg tobte, begann Rollins zu merken, dass die beiden Positionen überhaupt keine Feinde sein müssen. Und je mehr er begann die Tiefe des Zusammenhangs der beiden Positionen zu begreifen, entdeckte er nicht nur, dass die beiden Positionen sich gegenseitig bereichern können, sondern auch, dass damit vielleicht ein Glaubensansatz gefunden wäre, der bei der Wiederbelebung der westlichen Kirche helfen könnte.
Bei der Überwindung seines Dilemmas halfen Rollins vor allem die christlichen Mystiker. Während diese einerseits nicht vollkommen von Gott schweigen, weigern sie sich andererseits die ‚Kolonialisierung des Namens Gottes mit Konzepten’ mitzumachen. Zwar sprechen auch sie von Gott als dem ‚Unaussprechlichen’ (den man nicht mit Worten einfangen kann), doch hören sie trotzdem nicht auf von Gott zu sprechen; sie sprechen nicht in einer sprachlichen Armut von Gott, sondern versuchen vielmehr allen sprachlichen Reichtum aufzubringen, um Gott bestmöglichst gerecht zu werden. Für die Mystiker war Gott weder ein unausprechliches Geheimnis, über das man zu schweigen hat, noch ein verbrauchtes Geheimnis, das in der Offenbarung vollkommen offenliegt; vielmehr ein Geheimnis, das verpflichtet es zu teilen und das trotzdem seine Verborgenheit behält. Dies zeigte Rollins einen Weg mit dem Dilemma umzugehen, den man wie folgt formulieren könnte: „Die Sache von der wir nicht sprechen können, ist die einzige Sache über und zu der wir niemals zu sprechen aufhören dürfen.“
Die mystische Perspektive ist im Spätmittelalter durch Theologen wie Duns Scotus verdrängt worden und blieb am Rande des Glaubens auch in der Moderne (hauptsächlich durch den Einfluss cartesischen Denkens, das untrügliche Gewissheit favorisiert). Die einzigen, die sich heute ernsthaft mit dieser Perspektive beschäftigen, scheinen die nihilistischen postmodernen Denker zu sein. Rollins schreibt, dass in durch die Beschäftigung mit diesen, die Bedeutung (der Sprache) der christlichen Mystiker für die westliche Kirche im 21. Jahrhundert klar wurde.
Es folgt in der Einleitung noch eine kurze Skizze des Aufbaus des Buches, sowie eine Anmerkung zur ‚Emerging Conversation’, zu der er sich zählt. Gleichzeitig verweist er darauf, dass sehr viele Entdeckungen der EC letztlich Wiederentdeckungen sind.
Diese Einleitung hat mich gleich sehr gefesselt, ist doch Rollins Geschichte in Teilen auch meine. So war auch ich jahrelang zerrissen zwischen einerseits den Erkenntnissen, die ich in und durch mein Studium in Soziologie, Philosophie und Erziehungswissenschaft und vor allem meiner Beschäftigung mit extremen Denkern wie Nietzsche, Foucault und Derrida sowie andererseits mein anhaltendes Engagement in ‚christlichen Kreisen’. Zwar erlebt ich auch schon zu dieser Zeit, die Fruchtbarkeit dieser beiden Seiten füreinander, doch erst die Entdeckung und die (Wieder-)Entdeckungen der ‚Emerging Conversation’ halft mir dabei, beide Seiten wirklich zu integrieren und füreinander fruchtbar zu machen. Dieser Prozess ist natürlich alles andere als abgeschlossen, vielmehr gibt es auch heute noch vieles, was unverbunden nebeneinander steht, doch hat sich schon vieles geändert. Witzigerweise ist auch Peter Rollins an der Uni tätig…
Haben einige von Euch ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ohja; es fing an durch meine liberale Religionslehrerin; die hat mich größtenteils akzeptiert und stehengelassen; sogar versucht von mir (damals sehr überzeugt, das Wesentliche über Gott zu wissen) zu lernen; aber sie hat mir gute Fragen gestellt. Das zusammen mit diesem einen Satz von Siegfried Kettling (den ich glaube schonmal zitiert habe), dass man andere Gedanken (jetzt sinngemäß) nicht verdrängen soll sondern sie sozusagen zu Ende denken; hat das Gesicht meines Glaubens verändert.
Wobei ich bis heute noch danach suche, wie es funktioniert auf der einen Seite wie die Kinder zu werden- wie Jesus über die Beziehung zu Gott sagt- und nicht mehr Kind zu sein- wie Paulus das über den Verstand sagt. Es scheint wenig Platz zu sein bei den "Frommen" für die Komplexität der Welt; aber es ist so einfach in seinen Gedanken die Einfachheit der Beziehung mit Gott zu vergeßen. War das jetzt off topic?
Posted by: Arnachie | Nov 28, 2006 at 21:21
Nein, überhaupt nicht 'off topic' - danke!
Posted by: TobiK | Nov 28, 2006 at 23:31
Sehr cool, dass du über das Buch von Pete Rollins schreibst. Im Moment bin ich der EmergingChurch-Literatur ein bisschen überdrüssig und freue mich an anderen Büchern, dennoch scheint Pete einige wichtige Gedanken zusammen zu führen.
Ich selbst kam aus den Weiten der evangelischen Landeskirche zu einem engeren Verständnis über die JesusFreaks und die Bibelschule die ich besuchte. Wieder zurück an der Uni begann ich dann nach einer Weile der Verteidigung des neu Gewonnenen vermehrt Fragen zu stellen. Für mich ist die ›Emerging Conversation‹, wie du das hier nennst, ein Weg Gedanken zusammen zu denken, die für einige nicht vereinbar scheinen... habe das Buch geordert und werde sobald ich es habe auch einsteigen.
Posted by: [depone] | Nov 29, 2006 at 11:50
@depone: Danke (auch fürs verlinken)! Mit EC-Literatur geht es mir momentan ähnlich, ich habe genug über ein neues Paradigma nachgedacht, jetzt will ich lernen ausgehend davon zu handeln und zu denken. Da Pete genau das macht ist das Buch so spannend...
Posted by: TobiK | Dec 03, 2006 at 14:31