Eigentlich bin ich müde und sollte ins Bett. Trotzdem brennt es mir unter den Nägeln etwas zu dem schrecklichen Amoklauf in Emsdetten zu sagen. Andererseits möchte ich auch nicht wirklich etwas sagen, gilt es doch vielleicht erst einmal den Tod eines Menschen zu betrauern, der trotz seiner grauenhaften Tat immer noch ein Mensch war. Hier gibt es seinen Abschiedsbrief zu lesen...der ist krass...Ich möchte nichts an der ganzen Sache verharmlosen oder gar irgendwie glorifizieren und trotzdem spürt man, dass in diesem verzweifelten letzten Schrei nach Sinn und Bedeutung mehr Wahrheit liegt als in der ganzen Medienkakophonie, die unmittelbar nach der Tat losgebrochen ist und die scheinbar nichts anderes tut, als die üblichen Feindbilder, Vorurteile und Sündenböcke zu beschwören, damit die von ihnen (mit)produzierte behagliche 'Normalität' keinen Kratzer abbekommt. Warum nehmen wir so eine Tat nicht als Anlass dazu uns wirklich selbstkritisch zu (hinter)fragen, was mit unserer Gesellschaft nicht stimmt und wie wir denn eigentlich leben wollen? Ich denke, wir wissen alle irgendwie, dass etwas ganz fundamental nicht stimmt, doch diese Tatsache ist so erschreckend, dass wir gewohnt sind einen fetten Schleier 'Normalität/Realität' drüber zu kleistern und wegzusehen. Zugegeben, wenn ich nicht eine festverankerte Hoffnung hätte und an eine 'Gegengesellschaft' glauben würde, die schon ist und doch noch in ihrer Fülle aussteht und die die (teils) perversen Mechanismen der realen Gesellschaft subversiv auf den Kopf stellt, weiß ich auch nicht, ob ich die Kraft besitzen würde, mich mit dem 'Elend der Welt' auseinanderzusetzen. Und darin steckt doch irgendwie die Wahrheit des Abschiedsbriefes, dass ein Mensch diesem 'Elend der Welt' direkt ins Auge geschaut hat. Leider hatte er dabei jedoch keine Hoffnung und hat mit seiner grauenhaften Tat das 'Elend der Welt' noch verstärkt...Was denkt ihr?
Der Brief sieht aus wie ein zeitgenössischer Kohelet, "...es ist alles eitel unter der Sonne". So viele Leute machen diese Erkenntnis gar nicht, und können sich dann auch gar nicht über das Großartige der "Gegengesellschaft" freuen. Das ist tragisch. Tragischer nun diese Erkenntnis, ohne die lebensermöglichende Erkenntnis der Gegengesellschaft und dessen, der in dieser keine niederdrückende Herrschaft aufbaut, sondern weit entfernt davon im Gegenteil: es uns ermöglicht, frei zu sein. "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit"
Posted by: Mareike | Nov 22, 2006 at 11:42
Musste eben erstmal nachschauen was "Kohelet" ist. Nachdem ich bei wikipedia fündig wurde, kann ich nur sagen, dass ich dann wohl auch koheletisch lebe.
Denn da steht: "Kohelet kommt zu der Erkenntnis, dass der Tod letztendlich jede Errungenschaft des Lebens auslösche. Daher empfiehlt er, das Leben zu nutzen, und jeden Tag als einzigartig zu genießen, da die Zukunft ungewiss sei. Diese Einstellung hat Anklänge an die Lehren der Epikureer."
Obwohl ich auch die Epikureer nicht kenne (hab nichtmal ne Ahnung was das sein könnte), halte ich mich an den Leitsatz von James Dean (der ja bekanntlich auch in jungen Jahren spektakulär seinem Leben ein Ende setzte):
Dream as if you'll live forever, live as if you'll die today.
Und nein, ich halte mich nicht für gefährdet sowas nachzumachen! Oder würde ein Epikureer das tun?
Das Ereignis an sich finde ich völlig überbewertet durch massives Agendasetting der Medien. Tausende von menschen sterben jeden Tag wegen absolut heftigerer Gründe und das interessiert kein Schwein!
TV is Evil! Da hilft nur eins: Nicht hingucken! Ich empfehle mal Maxwell McCombs zu lesen, bevor man in den Reigen der Beurteiler und Verurteiler der Bewerter und Verbieter mit einstimmt. Emsdetten ist einfach GAR NICHTS gegen die vielen Toten im Irak (Einwohner und Besatzer)!
Die simple und absolut profane Masche der Medien Aufmerksamkeit zu erheischen veranlasst meinen Magen teilweise dazu den ganzen Schrott symbolisch in die Kloschüssel zu befördern, da wo es meiner Ansicht nach auch hingehört!
Posted by: L'g. | Nov 23, 2006 at 01:18