In meinem letzten Post, ging es weder um eine Verteufelung der Privatsphäre noch des Sich-Anderen-Gegenüber-Öffnens. Vielmehr ging es mir zuerst darum, daran zu erinnern, dass die Blogosphäre ein öffentlicher Raum ist. Dessen sollte man sich ersteinmal bewusst sein, das theoretisch nun jeder Mensch und jede Institution auf der Welt in der Lage ist, das, was ich hier und jetzt 'von mir gebe' zu lesen bzw. irgendwie zu verwerten. Dies bedeutet, dass man eine gewisse Vorsicht im preisgeben persönlicher Informationen haben sollte - da gebe auch ich L´g völlig Recht.
Außerdem habe ich noch aus anderen Gründen meine Probleme damit: Kann man doch in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens erkennen, dass es zunehmend zu einer Erodierung der Öffentlichkeit gekommen ist, indem diese zunehmend mit privaten Inhalten gefüllt wurde - verwiesen sei hier nur exemplarisch auf die zunehmende Personalisierung der Politik und insbesondere des Wahlkampfes. Die Kategorie des Persönlichen nimmt in der Sphäre des Öffentlichen immer größeren Platz ein - so dass im Beispiel des Wahlkampfes immer weniger das politische Programm einer Partei, sondern die – öffentlich konstruierte – Persönlichkeit des Politikers für den Wahlerfolg ausschlaggebend ist. Aber auch in anderen Bereichen der Öffentlichkeit ist dieses wichtiger werden der Kategorie des Persönlichen zu beobachten – so z.B. im Fernsehen (durch Phänomen wie Big-Brother oder den ganzen Superstar-Sendungen) oder auch eben im Internet (siehe aktuell MySpace, etc.).
Dieses ganze Phänomen hat natürlich viele Ursachen und auch viele Folgen, auf die ich hier auch nicht nur annähernd eingehen kann. Auf nur eine Folge sei kurz verwiesen, nämlich, dass sich die Menschen immer mehr nur für das interessieren, was in die Kategorie des Persönlichen passt – also alles was unmittelbar das eigene Leben betrifft oder aber das Privatleben bzw. noch besser die Intimsphäre anderer. Diese ‚Lust am Privaten/Intimen’, sowie dazu parallel die ‚Lust am (öffentlichen) Geständnis’ ist es, die mir daher problematisch erscheint und die ich durchaus auch bei mir – als ein scheinbar natürliches Bedürfnis – feststellen kann. Dies führt jedoch zu einer Zentrik, d.h. ein verstärktes Um-Sich-Selbst-Drehen, indem man irgendwann Andere nur noch als Gestalten auf dem eigenen Bildschirm wahrnimmt, ihnen jedoch nicht mehr wirklich als Andere begegnet, sich von ihnen und ihrer Andersheit in seiner Eigenheit irritieren und verändern lässt. Die Außenwelt wird somit – ohne es zu bemerken – zur reinen Projektion der eigenen Innenwelt. (Hierzu kann ich übrigens nur den Film ‚Glück in kleinen Dosen’ empfehlen, der momentan in den Kinos läuft. Er zeigt genau das auf erschreckende Weise und ist ein grandioser Film, der leider - vielleicht wegen seines schlechten deutschen Marketings, das mal wieder beim Titel anfängt - nicht so richtig rausgekommen zu sein scheint.)
D.h. jedoch nicht, dass ich prinzipiell dagegen bin, dass man seine Erfahrungen und Gefühle mit anderen teilt, dies ist natürlich unverzichtbarer und wichtiger Bestandteil unseres Lebens – nur sollte dies vornehmlich in der Privatsphäre stattfinden. Daher verteufele ich auch keinesfalls die Privatsphäre, im Gegenteil finde ich diese sehr wichtig und zwar gerade als eine geschützte Sphäre, in der man sich Partner, Freunden oder Verwandten anvertrauen kann…ach, es gäbe dazu noch soviel zu sagen, aber ich mach erstmal Schluss.
Danke für deine Gedanken. Du sprichst einiges an, dem ich nur beipflichten kann. Was ich auch als Problem sehe, ist das 'Konstruieren von Persönlichkeit'. Die Gefahr, dass sich die Person in der Öffentlichkeit (die im Internet oft einen eigenen (Nick-)Namen hat) von der eigentlichen Person entfernt und den wahren Menschen, der hinter einer präsentierten Figur steht, beeinflusst. Das merke ich bei mir, jedenfalls.
Vielleicht ist das nicht "grundsätzlich" schlecht. Die Frage ist nur, wer die Kontrolle behält. Dominiert mich und mein Leben am Ende die von mir selbst 'erschaffene' Figur?
Posted by: lagalug | Oct 14, 2006 at 16:57
Ja, kann dir beipflichten. Es ist alles ne Frage, der Grenzen, die man zieht. Ein Blog ist kein Tagebuch. Zumindest gilt das für mich.
Ums mal nicht ganz so abstrakt zu halten: ich würde in meinem Blog sicher darüber berichten, wenn ich mich verlobt hätte oder sowas. (Genauer betrachtet, ist eine Verlobung ja ein öffentlicher Akt). Ich würde nicht über meinen Liebeskummer schreiben (schon gar nicht, wie manche es schon gemacht haben mit Namen). Aber: ich würde vielleicht Erkenntnisse, die ich während des Liebeskummers gewonnen habe, chifriert und "allgemeingültig formuliert" posten. Ich glaub das ist der Punkt: wenn man nur im Abstrakten bleibt wie ich das früher gemacht hab, fragen sich alle: hat der Typ kein Leben? Aber man kann seinen Alltag "ausschlachten" und aus seinen subjektiven Erfahrungen "objektive" Erkenntnisse ziehen.
Ich glaub das, was du kritisiert hat einmal mit sonem "Star-Tratsch Voyeurismus" zusammen, der sich von Bravo bis Bunte zieht und auf der anderen Seite mit dem Emotrend (der für mich aber auch mit der Emanzipation und Erweiterung des Rollenverständnisses des Mannes zu tun hat).
Übrigens: zu dem Lust am Geständnis fällt mir der schwule Humorist Max Goldt ein, der sich mal in nem Artikel über diesen Trend des Outings aufregt und sich fragt, was sexuelle Vorlieben die Öffentlichkeit zu interessieren hat.
Posted by: Arnachie | Oct 14, 2006 at 18:38
PS: mir ist dieser Satz aufgefallen:
"ein verstärktes Um-Sich-Selbst-Drehen, indem man irgendwann Andere nur noch als Gestalten auf dem eigenen Bildschirm wahrnimmt, ihnen jedoch nicht mehr wirklich als Andere begegnet, sich von ihnen und ihrer Andersheit in seiner Eigenheit irritieren und verändern lässt."
Kannst du den bei Zeiten mal etwas ausführen? Mich würden deine Gedanken dazu interessieren.
Posted by: Arnachie | Oct 14, 2006 at 18:40
Hey, durch Zufall (?) bin ich auf deine Gedanken zum Bloggen gestoßen - gute Impulse, danke! Es stimmt natürlich, dass jedes Blog einen Schritt in eine unkalkulierbare Öffentlichkeit bedeutet. Aber WAS ich dieser Öffentlichkeit mitteile, bestimme ich doch immer noch selbst, oder? Ich kann vielen deiner Gedanken zustimmen - falls du "Bloggen" eben nur als "Mitteilen von Erfahrungen und Gefühlen" verstehst. Das halte ich aber für eine zu enge Definition - es gibt doch auch thematische Blogs, Diskussionen zu bestimmten Themen, Newsblogs, Kulturelles, Politisches etc. - und die möchte ich auch nicht missen. Auf so manche Selbstbespiegelung oder Zurschaustellung der jeweiligen persönlichen Befindlichkeiten kann ich dagegen ganz gut verzichten :)
Posted by: Ingo | Dec 19, 2006 at 10:18
@Ingo: Willkommen auf dem Blog! Was Du mitteilst bestimmst Du natürlich selbst, aber wer das liest und was daraus macht natürlich nicht. Aber ansonsten hast Du vollkommen recht.
Posted by: TobiK | Dec 21, 2006 at 00:08