Foucaults Verständnis von
Wahrheit ist grundlegend für sein Denken und seine Arbeiten. Es liegt jedoch
quer zu dem traditionellen Wahrheitsverständnis und ist somit häufig Missverständnissen
ausgesetzt gewesen.
Zunächst einmal ist Foucault hier
stark von Nietzsche beeinflusst. Wie Nietzsche geht er davon aus, dass man nach
dem ‚Tode Gottes’ (hier verstanden als der Zusammenbruch des Deutungs- und
Sinnstiftungssystems, das seit 2500 Jahren als kleinster gemeinsamer Nenner die
Gewissheit einer übersinnlichen Welt garantierte) nicht mehr von einer
vorgängigen Übereinstimmung zwischen der Erkenntnis und den zu erkennenden
Dingen ausgehen kann. Nur ‚Gott’ konnte diese Übereinstimmung garantieren. Die
Wahrheit ist für Foucault daher „von dieser Welt“ und somit in den
allumfassenden Kampf eingebettet bzw. wird von diesem erst hervorgebracht.
Wahrheit ist also stets etwas
Produziertes, ein Produkt von Kämpfen, dass gleichzeitig in diesen Kämpfen als
Instrument bzw. als Waffe dient. Konsequenterweise geht es Foucault deswegen
nicht mehr darum, die Wahrheit zu
entdecken, also einer Analyse des Wahren in den Erkenntnissen nachzugehen,
vielmehr verwendet er sein Erkenntnisnteresse darauf, ‚Wahrheitsspiele’ nachzuvollziehen
und dabei selbst Wahrheitseffekte zu erzielen. Unter anderem deswegen sieht
Foucault sich auch nicht als Philosoph und lehnt die klassische Rolle des
Intellektuellen, der eine ‚Schiedsrichterposition’ einnehmend erklärt, was wahr
und was falsch sei, sowie, was richtig und was unrichtig zu tun sei, ab.
Vielmehr fordert Foucault den ‚spezifischen Intellektuellen’, der kein
universeller Prophet mehr ist, sondern spezifische Kämpfe in spezifischen
Feldern, in denen er Spezialist ist, führt.
Unter Wahrheit versteht Foucault
„eine Gesamtheit von geregelten Verfahren für die Produktion, das Gesetz, die
Verteilung, das Zirkulierenlassen und das Funktionieren von Aussagen“. Anders
gesagt: „Ich verstehe unter Wahrheit die Gesamtheit der Verfahren, mit deren
Hilfen man zu jedem Zeitpunkt gegenüber jemandem Aussagen machen kann, die als
wahr angesehen werden.“ Somit gibt es in jeder Gesellschaft eine
‚Wahrheitsordnung’, eine ‚allgemeine Politik’ der Wahrheit, „das heißt
Diskursarten, die sie annimmt und als wahr fungieren lässt; die Mechanismen und
die Instanzen, die es gestatten, zwischen wahren und falschen Aussagen zu
unterscheiden; die Art und Weise, wie man die einen und die anderen
sanktioniert; die Techniken und Verfahren, die wegen des Erreichens der
Wahrheit aufgewertet werden: die rechtliche Stellung derjenigen, denen es zu
sagen obliegt, was als wahr fungiert.“
In der heutigen Gesellschaft
sieht Foucault die ‚politische Ökonomie’ der Wahrheit durch fünf historisch
wichtige Merkmale charakterisiert: „Die ‚Wahrheit’ ist auf die Form des
wissenschaftlichen Diskurses und auf die Institutionen, die ihn hervorbringen,
ausgerichtet; sie unterliegt einem konstanten ökonomischen und politischen
Anreiz (ein Wahrheitsbedarf ebenso sehr für die ökonomische Produktion wie für
die politische Macht); sie ist in diversen Formen Gegenstand einer immensen
Verbreitung und Konsumtion (sie zirkuliert in Erziehungs- oder
Informationsapparaten, deren Ausdehnung im Sozialkörper trotz einiger strenger
Begrenzungen relativ weit reicht); sie wird unter der nicht ausschließlichen,
aber dominanten Kontrolle durch einige große politische oder ökonomische
Apparate (Universität, Armee, Schrift, Medien) hervorgebracht und übermittelt,
und schließlich ist sie der Einsatz einer umfassenden politischen Auseinandersetzung
und sozialen Konfrontation (‚ideologische’ Kämpfe).“
Noch einmal: Foucaults Anliegen
ist nicht mehr zu erkunden, was wahr
ist, sondern wie ‚Wahrheitswirkungen’
zustande kommen. Wenn er von Wahrheitsspielen redet, versteht er Spiel nicht im
Sinne von Nachahmung oder Schauspiel, sondern als eine „Regelmenge zur
Herstellung der Wahrheit“:. Analysieren möchte Foucault die Wahrheitsspiele,
„in denen sich das Sein historisch als Erfahrung konstituiert, das heißt als
eines, das gedacht werden kann und muss“. Die grundlegende Frage, die sich für
Foucault wiederum stellt, ist die, anhand welcher Wahrheitsspiele sich der
Mensch sein eigenes Sein zu denken gibt.
Foucault behauptet damit gerade
nicht, dass es schlicht und einfach keine Wahrheit gäbe: „Die Wahrheit aber, es
gibt sie, sie hat Macht und sie hat Wirkungen, aber auch Gefahren.“ Vielmehr
betont er, dass seine Auffassung von Wahrheit nicht heißt, „dass man nichts in
der Hand hat und dass alles jemandes Kopf entspringt“. Er unterscheidet
zwischen Wahrheitsspielen, „in denen die Wahrheit eine Konstruktion ist und
solche, in denen es sie nicht ist“.
So gerne Foucault auch immer
wieder als Postmoderner abgestempelt wurde, mit postmoderner Beliebigkeit
wusste er sich nicht anzufreunden. Vielmehr wehrt er sich gegen den immer
wieder angenommenen Schluss, er behaupte, dass nichts existiere, und
konstatiert, dass er genau das Umgekehrte annimmt. Nimmt man das Thema des
Wahnsinns, so behauptet Foucault keineswegs, dass der Wahnsinn nicht existiere.
Das Problem ist vielmehr gerade die Existenz des Wahnsinn bzw., dass
verschiedene ‚Definitionen’ des Wahnsinns in institutionelle Felder integriert
wurden und somit reale Wirkungen und Effekte erzielten. Paul Veyne, Freund wie
Interpret von Foucault sagt dazu: „Sexualität und Wahnsinn sind keine
Schimären, keine Ideologie, keine Vorurteile; es gibt sie wirklich, aber wir
können nicht sagen, was sie sind; wir
können Sexualität und Wahnsinn als solche nicht von den wechselnden
Vorstellungen unterscheiden, die sich die Menschen im Lauf der Zeit davon
gemacht haben; wir können das Ding an sich und den Diskurs nicht voneinander
trennen.“
Den Kampf, den Foucault zu führen
versucht, ist jedoch kein Kampf ‚zugunsten’ der Wahrheit, sondern „um den
Status der Wahrheit und der von ihr übernommenen ökonomisch-politischen Rolle“.
Anders formuliert: Es geht weder darum der Wahrheit hinterher zu jagen, noch
jegliche Wahrheit zu bekämpfen. Das Ziel Foucaults ist es vielmehr „die Macht
der Wahrheit von den Formen einer (sozialen, ökonomischen, kulturellen) Hegemonie
zu befreien, innerhalb derer sie derzeit funktioniert.“ Um dieses Ziel zu
erreichen, versucht Foucault selbst einen ‚wahren’ Diskurs zu führen, der einen
‚Wahrheitseffekt’ erzielt, d.h. der strategisch bzw. politisch wirksam ist und
somit als ein Instrument in diesen Kämpfen gegen Hegemonien der Wahrheit
eingesetzt werden kann. Daher hofft Foucault, „dass die Wahrheit meiner Bücher
in der Zukunft liegt.“
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