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Teil 9: Von der Dampfmaschine zur Cyberchurch
Die Erfindung der Dampfmaschine war die entscheidende Erfindung, die zur industriellen Revolution führte. Eine Kultur, die bis dato durch Landwirtschaft bestimmt wurde, wird nun auch tatsächlich mechanisiert, industrialisiert und technisiert. Innerhalb weniger Jahrzehnte wird dadurch die menschliche Gesellschaft vollkommen umgemodelt. Vielleicht stecken wir gerade in einer ähnlichen Umwälzung durch die historisch ja noch recht junge Erfindung der sogenannten Personal Computers (PC´s)? So stecken wir mittendrin in dem Wechsel von einer industriellen zu einer postindustriellen Gesellschaft. Information wird zur neuen ‚DNA’ der Gesellschaft. Die Industriegesellschaft wird durch eine Wissensgesellschaft ersetzt. Arbeit ist immer weniger auf Körperkraft und Massenproduktion, dafür immer mehr auf Wissen und Dienstleistung ausgerichtet. Dies ist alles zwar wohlbekannt, doch gerade dies verführt dazu, die massiven Veränderungen, die dadurch schon eingetreten sind und wahrscheinlich noch viel stärker werden, zu übersehen.
Bill Gates sagte vor ein paar Jahren: „Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Revolution. Alle Computer werden vernetzt um miteinander für uns und mit uns zu kommunizieren. Wenn diese Kommunikation günstig genug wird und andere Fortschritte in der Technik hinzukommen, wird der Einfluss dieser interaktiven Information so real und so weitreichend werden, wie die Effekte der Elektrizität.“
Informationsfluss unterscheidet sich im Kern von der Fabrik und dem Verkauf von Waren, der DNA der industriellen Gesellschaft. Daher wird die Kultur, die – auf Information ausgerichtet ist, und um uns herum wächst, sehr unterschiedlich von der heutigen sein. Es wird zu einem Wandel in Verhalten, Einstellungen und Werten kommen.
Hier ein Beispiel: Maschinen können nur funktionieren, wenn alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. So war die Industriegesellschaft stark nach dem Prinzip der räumlichen und zeitlichen Synchronisation ausgerichtet. So sind ‚rush hour’, Ladenöffnungszeiten, und Schulferien Zeichen für das Bedürfnis der industriellen Gesellschaft nach standardisierten Zeiten und Räumen. Die digitale Technologie baut dieses Prinzip mit großer Geschwindigkeit ab. Soziale Interaktionen sind nicht mehr auf räumliche Nähe angewiesen, und immer weniger auf synchrone Zeit. Emails, Chatrooms und Internettelephonie lassen in sekundenschnelle Leute aus allen Kontinenten miteinander kommunizieren. Kreditkarten und Onlineshops machen es möglich zu jeder Tages- und Nachtzeit einzukaufen. Immer mehr Menschen arbeiten zu Hause an ihrem Computer. Eine kurze Frage: Was hat dies für Folgen für die Kirche, die als eine moderne Organisation nach modernen Prinzipien (feste Orte und feste Zeiten) gebaut ist?
Diese Ankunft eines
Informationssuperhighways, den wir mit den heute immer gängiger werdenden
Hochgeschwindigkeitszugängen zum Internet anfänglich bereits haben, hat und
wird immer stärker einen neuen Raum schaffen in dem man leben, arbeiten und
soziale Kontakte machen und pflegen kann: den so genannten Cyberspace.
Viel zentraler dürfte aber noch
eine andere Entwicklung sein: Ein wichtiges bislang unerwähntes
Charakteristikum der Moderne ist deren strikte Trennung in Privatsphäre und
Öffentlichkeit. In der Öffentlichkeit steckt man in einer Rolle oder ist anonym
unterwegs, hier finden normalerweise keine offenen, persönlichen und intimen
Gespräche und Interaktionen ab. Diese sind auf die Privatsphäre, also Familie
und Freunde begrenzt. Dies drückt sich darin aus, wenn man von der Anonymität
der modernen Gesellschaft spricht. Denn hier schafft der Cyberspace Abhilfe,
mit dem Internet entsteht eine neue Form der Öffentlichkeit, in der sich die
Menschen anonym bewegen können und doch persönlich werden können. Immer mehr Menschen
verbringen immer mehr Zeit im Internet, nicht bloß um Geschäfte zu machen,
sondern auch um dem Bedürfnis nach menschlicher Kommunikation und Interaktion
nachzukommen. Interaktion ist die Summe und die Substanz des Internets. Bsp.
des Web 1.0 sind Chaträume und Foren, Beispiele des Web 2.0 sind die
Blogosphere und Cybercommunities, wie z.B. ‚Musicstrands’ etc. Hier ist quasi ein
neues ‚Missionsfeld’ (mag das Wort nicht) entstanden. Die traditionelle Kirche
brauchte im Zuge der industriellen Revolution sehr lange, um vom Dorf in die
industrialisierten Vorstädte zu kommen und hat bei diesem Wechsel viele Menschen
verloren. Dies sollte nicht wieder so lange dauern. Der ‚Cyberspace’ muss dazu
als ein realer Ort anerkannt werden: Leute leben dort. Wenn wir dorthin gehen
gilt jedoch Vorsicht, man betritt gewissermaßen eine andere Kultur. Hier gilt
z.B., dass jeder das Recht hat seine Meinung zu äußern; auf eine gewisse Art
und Weise sind alle gleich – da z.B. Alter, Geschlecht und Hautfarbe nicht
sichtbar sind. Jeder kann eine Website oder einen Blog haben, jeder kann hier
seine Geschichte erzählen, seine Version der Wahrheit verkünden und sie aller
Welt zur Verfügung stellen.
Hi Tobi,
Du schreibst: "Hier gilt z.B., dass jeder das Recht hat seine Meinung zu äußern;"
Versteh' ich nicht wo das nun der entscheidende Unterschied zum Nicht-Internet ist. Da darf man das ja wohl (zumindest in Deutschland) hoffentlich auch.
Aus meiner Sicht ist es bloss etwas einfacher geworden, weil man z.B. keine Flyer drucken muss, um seine Meinung zu verbreiten, sondern man richtet sich einfach z.B. bei Typepad oder Blogger ein weblog ein.
Hört sich bissel nach der etwas hilflosen "Klowände des Internet" - Argumentationslinie an. Hast Du Angst davor, das man die Masse im Netz nicht kontrollieren kann und diese Ihre eigene Meinung bilden und sogar verbreiten kann?
Ich sehe 'Cyberspace' allerdings auch nicht als neuen 'Ort' im eigentlichen Sinne an, sondern eigentlich nur als eine Erweiterung unseres Körpers. Quasi als Werkzeug, das mich befähigt Neues zu erreichen auf anderen Wegen.
Die Raum-Metapher ist denke ich arg begrenzt und trägt nicht besonders. Ich seh' es als reine Erweiterung des Selbst (z.B. genauso wie das Fahrrad mich erweitert um 'schnellere Beine'). Jeder erweitert sich selbst um ein kleines Stück mit z.B. einem weblog, dadurch bilden sich neue Berührungspunkte zwischen den Menschen.
Gruss,
L'g.
Posted by: L'g. | Jun 17, 2006 at 18:16
@Helge: Da hast Du natürlich völlig recht. Raum ist nur eine hilflose Metapher, das müsste man genauer diskutieren...aber da bist Du natürlich der Experte. Ich schreibe hier hochkomprimiert und daher tendenziell viel zu unpräzise.
Freie Meinungsäußerung ist global gesehen leider nicht die Norm. Natürlich bin ich absolut dafür und finde diese Entwicklung in dieser Hinsicht sehr positiv. Die Beschreibung der Veränderungen sollen eigentlich aber neutral sein, daher schockt es mich etwas, dass dies in Deinen Ohren scheinbar so negativ geklungen hat. Grüße!
Posted by: TobiK | Jun 17, 2006 at 19:30
Na ja sooo "negativ" ist es nicht gewesen und hat es auch nicht geklungen, aber doch irgendwie so, als ob es ein Kriterium des Unterschieds wäre. Und das seh' ich so nicht. Ich kann auch auf der Strasse jedem meine Meinung kund tun.
An der Sache mit dem "Raum" bzw. "Cyberspace" bin ich auch schon länger dran, wird mir erst nach und nach klar, dass das eigentlich kaum Sinn macht.
Bin mir auch noch nicht so ganz klar, ob die Werkzeug-Metapher besser passt, aber bisher hat die mir tendenzeill weitergeholfen, wo mit der Raummetapher meist kein Weiterkommen war.
Grüsse, Helge.
P.S.: War auf dem RoboCup2006 gestern (und der Künstlichen Intelligenz Tagung, KI2006), da ergeben sich durch Roboter noch ganz andere Fragen zukünftig. Darf man einem lernenden Roboter einfach so das Hirn/Daten löschen? Oder bringt man Ihn und seine Persönlichkeit dann um? Gibt es Roboterrechte? Oder ist der Roboter nicht auch nur ein Werkzeug? Aber was ist wenn das Werkzeug anfängt Entscheidungen für mich zu treffen? Hat es dann auch die Verantwortung? Oder liegt die beim Softwareentwickler und Erbauer des Roboters? Was passiert wenn ich den Roboter nicht mehr vom menschen unterscheiden kann? War echt spannend da. Die Fussball-WM Spiele mit den Aibo-Roboter Hunden haben besonderen Unterhaltungswert. Kann ich nur empfehlen.
Posted by: L'g. | Jun 18, 2006 at 12:39