Teil 0/
Teil
1/ Teil
2/ Teil
3/ Teil
4/ Teil
5/ Teil
6/ Teil 7
Teil 8: Eine neue Art zu Denken:
Eine typische Bewegung ‚postmodernen Denkens’ ist das dekonstruieren und reimaginieren. Z.B. untersucht man etwas auf seine unausgesprochene Voraussetzungen hin und nimmt es daher auseinander oder man führt etwas auf seine historische oder kulturelle Bedingtheit zurück und enttarnt damit das Selbstverständliche und Gewohnte, um sodann Platz zu haben, etwas Neues zu entwerfen. Es geht nicht mehr darum alles in Einzelteile zu zergliedern und diese dann neu zusammenzusetzen, vielmehr gilt es mit viel Kreativität und Vorstellungskraft (Imagination) etwas wirklich Neues entstehen zu lassen. Oft fängt man dabei jedoch nicht vollkommen von neu an, sondern ‚remixt’ alte, jedoch sehr unterschiedlichen Elementen zu einem Neuen.
Genau diese Bewegung wird in vielen ‚Emerging Church’-Diskussionen vollzogen. Man erkennt, dass das momentan übliche Modell von Gemeinde von unausgesprochenen modernen Hintergrundannahmen getragen wird, dass es der Ausdruck einer bestimmten kulturellen und historischen Situation ist, usw. Dies alles macht es nicht schlecht, jedoch erkennt man, dass es nur eines von vielen und vielfältigen Möglichkeiten ist, wie man gemeinsam Nachfolge leben kann. Dies eröffnet den Raum für die ‚Reimagination’, also dem kreativen Entwurf eines neuen Modells. Dass es dabei nicht um ein Modell geht, welches zuerst theoretisch am ‚Reißbrett’ entworfen wird und dann praktisch umgesetzt werden muss, dürfte hoffentlich klar sein. Vielmehr geht es darum viel zu experimentieren und einfach auszuprobieren. Praxis und Theorie sollten dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern Hand in Hand gehen…
Man kann also keinesfalls sagen, dass das Denken in der Postmoderne ‚hintenrunterfällt’, aber es verändert sich, wird ‚ganzheitlicher’ (auch wenn dieses Wort im Deutschen so schrecklich klingt). So werden z.B. immer mehr Gegensatzpaare (wie z.B. Denken vs. Fühlen, Inhalt vs. Form, Individuum vs. Gesellschaft, Evangelikal vs. Liberal, etc.) in denen wir gewohnt sind zu denken, in Frage gestellt (z.B. weil beide Seiten auf falschen Voraussetzungen beruhen). Es wird versucht beide Seiten nicht mehr als Gegensatz zu verstehen, sondern deren zweidimensionale Ebene (man stelle sich eine Linie zwischen den beiden Gegensätzen vor, auf irgendeinem dieser Punkte bewegt sich unser Denken normalerweise) wird durch hinzufügen einer dritten Dimension transzendiert (man stelle sich dazu einen Punkt oberhalb der Linie vor). Von dort aus kann man versuchen den vermeintlichen Gegensatz nicht mehr als bloßen Gegensatz zu denken, ohne dabei in einen harmonistischen Einheitsbrei zu verfallen…
Das Instrument des ‚postmodernen Denkens’ ist nicht somit nicht mehr die Analyse, sondern die Synthese. Man denkt nun nicht mehr von den einzelnen Teilen her, sondern von dem Ganzen. Und man erkennt zunehmend, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen wichtiger und wesentlicher sind, als die einzelnen Teile selbst. So achtet man stärker auf die Wechselwirkungen und Eigendynamiken, die durch diese Verbindungen entstehen. Dadurch denkt man zunehmend in Netzwerken. Das zugrundeliegende Modell der Welt ist nicht mehr eine Maschine, sondern Organismen. Man denkt also organisch und vernetzt, z.B. wird eine Gemeinde nicht mehr als Organisation, sondern als Organismus gesehen. Somit verabschiedet man sich auch immer stärker vom vereinfachten monokausalen, linearen Denken (eine Ursache führt zu einer Wirkung) und erprobt nicht-lineares und zirkuläres Denken. Ich kann das hier in der Kürze leider nur andeuten…
Dieses Denken befindet sich erst in den Anfängen, noch fehlt uns dazu die Sprache. Interessanterweise ist das hebräischen Denken diesem relationalen und holistischen Denken sehr nahe und es täte uns Christen sehr gut, wenn wir uns verstärkt mit dem hebräischen Denken auseinanderzusetzen, um die geschilderte Bewegung des Denkens nachvollziehen zu können und Einseitigkeiten des eigenen Blicks ausgleichen zu können. Man wird ziemlich schnell sehen, wie sehr wir gewohnt sind die Bibel griechisch und nicht hebräisch zu lesen. (Ich hoffe in Bälde ein wenig über das hebräische Denken zu bloggen, hier und hier zwei gute Links zu diesem Thema).
Noch eine alte biblische Tradition gilt es an dieser Stelle verstärkt auszuüben: Ein ‚weisheitliches Denken’, das weder naiv noch selbstgerecht auf superschlau und alleswissend macht, sondern ein Gespür für die Komplexität, Zerbrechlichkeit und Brüchigkeit des Lebens, wie generell für Wechselwirkungen und Entwicklungsdynamiken hat (um z.B. Gemeindeentwicklungen besser verstehen zu können). Gefragt ist außerdem, es wurde schon erwähnt, eine demütige Intellektualität…
Auch sollte es zu einer Wiederentdeckung
des Symbolischen und des Mysteriums, des Geheimnisvollen kommen (z.B. des kosmischen Christus), da das ‚postmoderne
Denken’ nicht nur Platz lässt für das nicht rational erfassbare, sondern nach
diesem hungert…
Danke für deine achtteilige Serie über die Postmoderne, fand ich sehr inspirierend. Auch deine interests fand ich ausgenommen interessant, vor allem wegen C.K. Chesterton, Dietrich Bonhoeffer, Sören Kierkegaard, Paul Auster, Dostojewski, Tori Amos… die ich liebe!
Posted by: toby | Jun 07, 2006 at 18:11
Bin durch hin- und herspringen in Blogs auf dieser Serie gelandet. Mal was absolut Fundiertes, das gleichzeitig locker zu lesen ist. Respekt! Soziologengrüße aus Darmstadt. M
Posted by: Martin | Jun 11, 2006 at 00:24