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Teil 7: Spirituelle Öffnung oder ‚Die Wiederverzauberung der Welt’
Die bisher beschriebenen Veränderungen hin zur Postmoderne klangen vornehmlich negativ. Es wurde mehr erzählt, was alles zerstört, nicht mehr geglaubt, nicht mehr gehofft wird. Die Geburt der Postmoderne ist auch erst einmal ein Absetzen und Wegbewegen von der Moderne und ihren Prinzipien und Überzeugungen. Doch was für eigenständige Merkmale hat oder wird die Postmoderne haben?
Etwas vereinfacht kann man sagen: War das Mittelalter vergangenheitsorientiert, die Moderne zukunftsorientiert, dann herrscht in der PM die Gegenwartsorientierung vor. Der Focus liegt auf dem ‚inneren Erleben’. Dies klingt erstmal wie übler Hedonismus, also die Weltanschauung nach der Genuss und Wohlfühlen letzter Sinn und höchstes Lebensziel ist. Das ist es erst einmal auch: Was bleibt sind eine tiefsitzende Ironie als Schutzfolie und Richtungslosigkeit als Wegweiser.
Doch die Betonung liegt auf erstmal. Oft bleiben die Analysen der Postmoderne hier stehen. Wichtig ist es jedoch zu erkennen: Genau dies reicht vielen nicht, sie suchen nach mehr.
Zwar halten sich die meisten von einer allgemeingültigen Wahrheit fern, eine individuelle Wahrheit wird jedoch gesucht. Es geht aber weniger darum diese Wahrheit zu wissen, sondern sie in einem ‚ganzheitlichen’ Sinn zu erfahren. Das zentrales Erkenntnisorgan, so könnte man sagen, ist nicht mehr der Kopf und mit ihm der Verstand, sondern dieser wird ergänzt durch das ‚Herz’, also die Gefühle und alle Sinne. Man kann auch von einer Öffnung für das Nicht-Rationale sprechen.
Nachdem man die Grenzen der rationalen, wissenschaftlichen Erkenntnis erkannt hat, erlaubt eine postmodern geprägte Weltsicht wieder an die Existenz von Realitäten zu glauben, die nicht mit dem Verstand erfassbar und also wissenschaftlich nachweisbar sind. Somit kommt es zu einer Öffnung für das Spirituelle, das Ewige, das Unbeschreibliche, das Göttliche oder allgemein gesprochen für das Transrationale (also das was über oder jenseits des rational erkennbaren liegt).
Diejenigen die in dieser ‚postrationalen’ Kultur aufwachsen, werden eine größere Offenheit gegenüber Ideen haben, die in einer nichtrationalen Form präsentiert werden und gegenüber Erfahrungen, die in einer nichtnachweisbaren Realität wurzeln. Die Ablehnung des Glaubens an eine unsichtbare Welt verliert in unserer Kultur an Strenge. Der Glaube an spirituelle Kräfte wird nicht länger als ein notwendiger Gegensatz zu einer intelligenten Weltsicht angesehen. Manche sprechen daher von der Wiederverzauberung der Welt. Die Postmoderne öffnet die Türen, die die Moderne durch ihren extremen Rationalismus zugeschlagen hatte. Spirituell zu sein heißt jedoch nicht, dass man in einer anderen Realität lebt, sondern Spiritualität wird als ein Aspekt menschlichen Lebens und menschlicher Aktivität angesehen, der für uns zugänglich ist - ähnlich einem Muskel, den wir zu benutzen vergessen haben.
Doch: Menschen, die auf einer
spirituellen Suche sind suchen oft nicht oder zuletzt beim Christentum. Der
Grund dafür liegt zu einem guten Teil wohl darin, dass wir selbst verlernt haben
diesen Muskel zu benutzen, also wegen der spirituellen Armut des modernistischen,
rationalistischen Glaubens.
Man spricht daher auch von einer postchristlichen Spiritualität. Dies ist die Ironie der spirituellen Renaissance: Mehr und mehr Menschen lehnen die enge rationalistische Weltsicht ab und öffnen sich wieder spirituell. Doch christliche Gemeinden und Kirchen werden selbst (und das wohl nicht zu unrecht) als Teil der Moderne angesehen und mit ihr abgelehnt. Kirchen und Gemeinden werden nicht als spirituelle Orte angesehen. Dort würde man keine Spiritualität finden, sondern theologische Haarspaltereien und Spitzfindigkeiten. Dies darf nicht als eine Ablehnung verstanden werden, dem ‚Gott der Christen’ zu begegnen, aber als Ablehnung der Formen und Formeln in denen dieser Glaube gewöhnlich ausgedrückt wird.
Wo sonst wird Spiritualität gesucht? Z.B. natürlich in östlichen Religionen, ein Phänomen was uns allen bekannt ist. Aber auch in der Natur. Diese wird zunehmend als etwas Heiliges betrachtet. Logisch ist daher auch, dass spirituelle Techniken zunehmend bei indigenen Völkern (Naturvölker) und deren Rituale gesucht werden. Deren Rituale sind gemeinschaftlich, bodenständig und beruhen auf ‚sinnlichen Erfahrungen’ (also Erfahrungen mit allen Sinnen). Im Kontrast hierzu kann der individualistische Lobpreis stehen, der dem einzelnen die Last aufbrummt sich mit Gott auf die richtige Weise zu ‚connecten’. Vor allem aber: Die Religion der Naturvölker beruht nicht auf einer Aussagenwahrheit. Herrschend sind hier nicht Theologie und Predigt, sondern Gemeinschaft, Rituale und Erzählungen. All dies sind starke Motive der Postmoderne.
Doch der vielleicht größter
Unterschied zu zeitgenössischem, modernem Christentum: Was die Rituale der
Naturvölker und östliche Religionen gemeinsam haben, ist der Fokus auf das Tun, auf spirituelle ‚Techniken’
(nicht-mechanistisch im Sinne von praktischen Hilfsmitteln verstanden).
Im Gegensatz dazu spielt sich ein
Großteil des ‚Glaubenslebens’ des modernen Christen auf dem diffusen Feld der
‚Innerlichkeit’ ab. Zwar hat der christliche Glaube viele solcher spirituellen
‚Techniken’ in seiner langen und reichhaltigen Geschichte entwickelt, diese
jedoch zunehmend vergessen. Wohl vor allem weil es seit der Reformation zu
einer immer stärkeren Konzentration auf Aussagenwahrheiten, als das Wesentliche
des Glaubens kam. Besucher einer christlichen Gemeinde sind oft dazu eingeladen
in den Gottesdienst zu kommen und dort alles zu beobachten und zuzuhören,
vielleicht können sie auch ein wenig mitmachen. Aber sie werden nicht oder kaum
in grundlegende ‚Techniken’ eingeführt, die sie ausprobieren und mit denen sie
christlichen Glauben im Alltag praktizieren können. Hier gilt es die
spirituelle Schatzkiste der Kirchengeschichte zu plündern und uns mit den 1500
Jahren christl. Tradition wieder zu verbinden, die wir mit der Reformation wohl
allzu leichtfertig abgeschnitten haben.
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