Teil 3: Neben der Reformation, gab es noch einen anderen Vorboten des Modernisierungsprozesses: Das Weltbild des Mittelalters, die göttliche, kosmologische Ordnung in Sphären bricht zusammen. Das Ptolemäische Weltbild mit der Erde im Zentrum wird durch die Kopernikanische Wende abgelöst. Nicht mehr die Erde steht nun im Zentrum, im Mittelpunkt des Universums, sondern der einzelne Mensch.
Dies ist auch ein entscheidender Startpunkt für das komplexe und vielschichtige Phänomen, das wir ‚Individualismus’ nennen. Man kann auch sagen, die ,Wir-Ich-Balance’ (Elias) ändert sich. Nahmen sich die Menschen im Mittelalter erst einmal als ein Wir, als eine Gemeinschaft wahr, so nehmen wir uns heute zuerst als Einzelne, von anderen getrennte Wesen wahr, die erst im Nachhinein zu anderen Beziehungen aufnehmen. Das Wir-Ideal wird zunehmend von einem Ich-Ideal abgelöst. Zur Ich-Seite hin ist dieser Prozess in der Renaissance gekippt. Als Pionier dieser wachsenden Selbstakzentuierung im Selbstbild der Menschen kann Descartes angesehen werden. Descartes bringt mit seiner Philosophie (am bekanntesten sein Auspruch: ‚Ich denke, also bin ich’) die gesellschaftliche Wende seiner Zeit zum Ausdruck, nämlich das Ende des Feudalismus und somit das Ende der gesicherten, ererbten und identitätsstiftenden an Stand gebundene Stellung.
Der kanadische Philosoph Charles Taylor
sieht diesen Wechsel im Selbstverständnis der Menschen aber vor allem durch den
Zusammenbruch der göttlichen Ordnung verursacht. Dass der moderne Mensch sich
nicht mehr in eine große, göttliche, kosmische Ordnung eingebettet sieht, führt
dazu, dass dieser seine Identität nicht mehr aus seinem vorgegebenen Platz in
dieser Ordnung erhält. Vielmehr sieht er sich nun als etwas zuerst von der Welt
getrenntes an und versucht daher sich – seine Identität – in sich selbst zu
gründen.
Auch Taylor betont, dass in der
Neuzeit die Welt zum Objekt des Subjekts wird, das die Welt erkennen und
kontrollieren will. So ist das Ideal des modernen Menschen ein ‚disengaged
self’, also ein losgelöstes, entkoppeltes und somit freies, selbstbestimmtes
also autonomes Selbst zu sein, welches von der Welt und somit auch von anderen
Menschen möglichst vollkommen unabhängig, also frei sein möchte.
Wie Taylor sagt, kann nur das
moderne Selbst, dass ein losgelöstest, entkoppeltes Selbst sein möchte auf die
Idee kommen sich nur aus sich heraus verstehen und definieren zu können bzw. zu
wollen.
So kommt es, dass das moderne
Selbst einen ziemlich großen Wert darauf legt, dass es eine innere Tiefe, bzw.
eine komplexe und reiche Innerlichkeit besitzt, die es erforschen muss.
Spezifisch für unsere Zeit und unsere Kultur ist nach Taylor das starke
Innen/Außen-Denken, sowie der Glaube, dass wir in unserem Inneren Sinn finden könnten.
Genauer gesagt: Charakteristisch ist vor allem das wir Innen und Außen so
unterschiedlich bewerten. Das Innere ist irgendwie das Gute, das was eine
moralische Dimension besitzt, dort ist mein wahres Ich zu finden; während das
Außen nur die Oberflächliche, das Oberflächliche ist; der Ort, wo ich meine
Masken aufsetze und der Schein sein zu Hause hat, der also der moralisch prekäre
Ort ist.
Aber nun sind wir ein wenig vom
eigentlichen Thema abgekommen. Wir waren beim Zusammenbruch des
mittelalterlichen Weltbildes. Zu diesem gehörte eine starke Ausrichtung auf ein
himmlisches Jenseits. Diese Hoffnung stellte einer der wesentlichen
Antriebskräfte für das Leben der Menschen im Mittelalters dar. Nach dem
Zusammenbruch der göttlichen Ordnung wird die Vorstellung von einem himmlischen
Jenseits von der Hoffnung auf einen Himmel auf Erden, einem irdischen Paradies
abgelöst. Man nennt dies weltliche Utopien. Die dritte Schrift von Bacon The
New Atlantis ist eine solche. Der Traum: Der Fortschritt von Wissenschaft und
Technik führt zur vollkommenen Beherrschung der Natur, damit zu allgemeinem
Wohlstand und zu menschlicher Vollkommenheit (durch Vernunftherrschaft).
Kurz anbringen möchte ich an dieser Stelle noch die These des Soziologen Zygmunt Baumans: Durch
den Zusammenbruch der göttlichen Ordnung kam es zur Entdeckung der Kontingenz - also das
alles so ist wie es ist, aber eigentlich auch anders sein könnte. Kurz gesagt:
Alles ist Zufall und nichts macht eigentlich wirklich Sinn. Diese
erschreckende, tödliche Entdeckung wird aber schnell wieder zugedeckt. Hoffnung
und Sinn geben nun die Wissenschaft und der Traum vom Fortschritt und einer besseren
Welt. Die Angst vor der Kontingenz führt im kollektiven Unbewussten der
Menschen aber weiter und führt zu dem Machbarkeits-, Ordnungs- und Kontrollwahn
der Moderne.
Zusammenfassend man sagen: Das Mittelalter, die Ära der Tradition und Bewahrung wird abgelöst durch die Ära der Erforschung und Eroberung. Durch Kolonialisierung und später Globalisierung kommt es in der Moderne zu einer weltweiten Vorherrschaft (Hegemonie) dieser westlichen so stark durch Wissenschaft geprägten modernen Kultur. Westliche Denkmuster, westliche Sprachen (wie Englisch und Spanisch), das westliche Wirtschaftssystem (der Kapitalismus) und westliche Technologien überziehen seit dieser Zeit zunehmend den ganzen Erdball…
Fortsetzung folgt (Teil 4: Die
Moderne wird alt und kränkelt, etwas Neues ist im Entstehen…)
Lese mit Aufmerksamkeit und nehme Teil.
Posted by: da-o-ben | May 25, 2006 at 01:14
Hey - interessante Posts. Ich lese ebenfalls mit grossem Interesse. Hier noch ein kleiner Denkanstoss, bzw. eine "Provokation" (nicht böse gemeint):
"Es nervt mich nichts so sehr, als das dumme Geschwätz vom 21. Jahrhundert. Die Menschen meinen immer, wir hätten uns verändert; dabei sind wir immer noch die Gleichen wie im Mittelalter."
...hat mein Professor, seineszeichen Mediaevist, einmal gesagt (als er ein wenig "enerviert" war...).
liebe Grüsse, l.
Posted by: lagalug | May 25, 2006 at 09:45
Hey Danke Ihr beiden für die Ermutigung!
Zum Zitat des Professors: Da würde ich ihm gar nicht so unrecht geben, ich glaube auch, dass in einem gewissen Sinn, die Menschen immer die gleichen bleiben (die gleichen Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte, Leiden etc.). Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass sie sich - vor allem ihr Zugang zur Wirklichkeit - gewaltig verändern...
Posted by: TobiK | May 26, 2006 at 01:02