Hier ein Textstück von Bonhöffer, welches er an der Wende zum Jahr 1943, geschrieben hat. In der damaligen Extremsituation wird deutlich sichtbar, was im Nebel des Alltags selten bewußt wahrgenommen wird: wie schwierig, aber auch wie ungemein wichtig es ist, wonach wir unser Handeln ausrichten.
Wer hält stand?
"Die große Maskerade des
Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Daß das Böse in der
Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial
Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt
Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist
es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.
Offenkundig ist das Versagen der
'Vernünftigen', die in bester Absicht und naiver Verkennung der Wirklichkeit
das aus den Fugen gegangene Gebälk mit etwas Vernunft wieder zusammenbiegen zu
können meinen. In ihrem mangelnden Sehvermögen wollen sie allen Seiten Recht
widerfahren lassen und werden so durch die aufeinanderprallenden Gewalten
zerrieben, ohne das Geringste ausgerichtet zu haben. Enttäuscht über die
Unvernünftigkeit der Welt, sehen sie sich zur Unfruchtbarkeit verurteilt,
treten sie resigniert zur Seite oder verfallen haltlos dem Stärkeren.
Erschütternder ist das Scheitern
alles ethischen Fanatismus. Mit der Reinheit eines Prinzips meint der Fanatiker
der Macht des Bösen entgegentreten zu können. Aber wie der Stier stößt er auf
das rote Tuch statt auf dessen Träger, ermüdet und unterliegt. Er verfängt sich
im Unwesentlichen und geht dem Klügeren in die Falle.
Einsam erwehrt sich der Mann des
Gewissens der Übermacht der Entscheidung fordernden Zwangslagen. Aber das
Ausmaß der Konflikte, in denen er zu wählen hat - durch nichts beraten und
getragen als durch sein eigenstes Gewissen -, zerreißt ihn. Die unzähligen
ehrbaren und verführerischen Verkleidungen, in denen das Böse sich ihm nähert,
machen sein Gewissen ängstlich und unsicher, bis er sich schließlich damit
begnügt, statt eines guten ein salviertes Gewissen zu haben, bis er also sein eigenes
Gewissen belügt, um nicht zu verzweifeln; denn daß ein böses Gewissen heilsamer
und stärker sein kann als ein betrogenes Gewissen, das vermag der Mann, dessen
einziger Halt sein Gewissen ist, nie zu fassen.
Aus der verwirrenden Fülle der
möglichen Entscheidungen scheint der sichere Weg der Pflicht herauszuführen.
Hier wird das Befohlene als das Gewisseste ergriffen, die Verantwortung für den
Befehl trägt der Befehlshaber, nicht der Ausführende. In der Beschränkung auf
das Pflichtgemäße aber kommt es niemals zu dem Wagnis der auf eigenste
Verantwortung hin geschehenden Tat, die allein das Böse im Zentrum zu treffen
und zu überwinden vermag. Der Mann der Pflicht wird schließlich auch noch dem
Teufel gegenüber seine Pflicht erfüllen müssen.
Wer es aber unternimmt, in
eigenster Freiheit seinen Mann zu stehen, wer die notwendige Tat höher schätzt
als die Unbeflecktheit des eigenen Gewissens und Rufes, wer dem fruchtbaren
Kompromiß ein unfruchtbares Prinzip oder auch dem fruchtbaren Radikalismus eine
unfruchtbare Weisheit des Mittelmaßes zu opfern bereit ist, der hüte sich
davor, daß ihn nicht seine Freiheit zu Fall bringe. Er wird in das Schlimme
willigen, um das Schlimmere zu verhüten, und er wird dabei nicht mehr zu
erkennen vermögen, daß gerade das Schlimmere, das er vermeiden will, das
Bessere sein könnte.Hier liegt der Urstoff von Tragödien.
Auf der Flucht vor der öffentlichen
Auseinandersetzung erreicht dieser oder jener die Freistatt einer privaten
Tugendhaftigkeit. Aber er muß seine Augen und seinen Mund verschließen vor dem
Unrecht um ihn herum. Nur auf Kosten eines Selbstbetruges kann er sich von der
Befleckung durch verantwortliches Handeln reinerhalten. Bei allem, was er tut,
wird ihn das, was er unterläßt, nicht
zur Ruhe kommen lassen. Er wird entweder an dieser Unruhe zugrunde gehen oder
zum heuchlerischsten aller Pharisäer
werden.
Wer hält stand? Allein der, dem
nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend
der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im
Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher
Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine
Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen?"
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