Werde diesen Blog hin und wieder dazu nutzen einige ältere Gedanken rauszuhauen...hier ein kleiner Artikel der aus einem Input auf der letzten Zukunfstwerkstatt hervorgegangen ist:
Mit dem Leben ‚fertig’ werden...
Wie schön wäre es, wenn ich mit meinem Leben ‚fertig werden’ würde: Große Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, statt sich in den kleinen Aufgaben des Alltags zu verzetteln. Nie wieder von anderen verletzt werden und nie wieder auf demütigende Art und Weise erleben zu müssen, wie ich mich selbst aufwerte, indem ich andere abwerte. Nie mehr von Zweifeln, lähmender Feigheit und betäubender Faulheit geplagt zu werden, nie mehr gegen sich selbst zu verlieren. Mit meinem Leben ‚fertig’ zu werden: wie sehr wünsche ich mir das!
Sicher…als guter Christ weiß ich, dass ich dazu erst einmal einen gewaltigen geistlichen Wachstumsschub machen muss: Endlich in meiner Beziehung zu Gott auf eine Stufe zu gelangen, die von totaler Innigkeit und Intimität gekennzeichnet ist. Eine Stufe, auf der ich Gottes Gegenwart ständig spüre, in der ich sein Reden deutlich vernehme, in der er mir die Kraft gibt endlich die Dinge zu tun, die wirklich wichtig sind. Wie gern würde ich ein solcher Heiliger werden! Wenn ich die Augen schließe und ein bisschen träume, dann sehe ich mich als einen mit übernatürlicher Kraft ausgestatteten, modernen Großstadtheiligen durch Häuserschluchten wandeln und diese Kraft großzügig unter den Menschen verteilen. Wichtig: Ich stelle mir vor zu wandeln! Es ist nicht dieser mühselige alltägliche Kampf der Fortbewegung gegen die Schwerkraft, sondern mehr ein Schweben und Dahin gleiten. Mein Wunschleben als ‚Heiliger’ wäre also vor allem durch zwei wesentliche Elemente gekennzeichnet: Erstens ein ständiges, inneres Gefühl von Heiligkeit und Kraft, das zweitens dazu führen würde, dass in meinem äußeren Leben alles erfolgreich und bewundernswert verläuft. Dies wäre ein vollkommenes Leben ohne Widerstände, ohne Kampf, ohne Mühen, ohne Versagen, ohne Angstschweiß, ohne Unsicherheit, ohne Ausgeliefertsein. Wer würde sich das nicht wünschen?
Müßig zu erwähnen, dass so eine Art von rundum gelingendem Leben – eben das Leben eines Heiligen – unendlich weit weg von der Erfahrung meines eigenen Lebens ist. So gibt es auf der einen Seite meinen innigen Wunsch nach einem heiligen Leben, auf der anderen Seite mein ‚real existierendes Leben’: das ständige Versagen, die eigene Verdorbenheit, die grundlegende Handlungsunsicherheit, der ständige Kampf und das immer wiederkehrende Muster von hinfallen, sich kurz im Dreck suhlen und wieder aufstehen.
Wie entschlüpfe ich diesem Dilemma? Das Beste wäre eine Art Wachstumspille, eine geheime christliche Formel für ein untadeliges, gottgefälliges Leben, das aus einem bekehrten Sünder (*Christ) endlich einen waschechten Heiligen (*****Christ) macht. Dem Anfang jeder Predigt, jedes christlichen Buches, jeder christlichen Großveranstaltung wohnt der Zauber der Hoffnung inne, dafür endlich die Rezeptur zu bekommen. Doch die ersehnte Formel für explodierendes geistliches Wachstum bleibt aus.
„Wenn in einem schriftlichen Examen den jungen Leuten vier Stunden zur Ausarbeitung der Abhandlung gegeben sind, dann bedeutet es nichts, ob der Einzelne vor der Zeit fertig wird oder die ganze Zeit gebraucht. Hier ist also Aufgabe und Zeit zweierlei. Aber wo die Zeit selbst die Aufgabe ist, da ist es ja ein Fehler, vor der Zeit fertig zu werden. Angenommen, ein Mensch erhielte die Aufgabe, sich einen Tag lang selbst zu unterhalten, und er wäre bereits am Mittag mit der Unterhaltung fertig: dann wäre ja seine Schnelligkeit kein Verdienst. So auch wo das Leben die Aufgabe ist. Mit dem Leben fertig werden, ehe das Leben mit einem fertig ist, das bedeutet ja gerade nicht mit der Aufgabe fertig zu werden.“ Sören Kierkegaard
Mittlerweile bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die erhoffte Formel nicht existiert; dass es diesen Zustand eines Heiligen, der schon alle Kämpfe im voraus gewonnen hat, so nicht gibt; dass geistliches Wachstum vielmehr heißt, die grundsätzliche Zerrissenheit und Brüchigkeit des eigenen Lebens zu akzeptieren, statt immer wieder zu versuchen ein rundum gelingendes Leben herzustellen. Dies heißt nicht, dass man den Kampf aufgeben soll, darf oder kann. Wenn wir uns auch kein gelingendes, heiliges Leben herstellen können, folgt daraus nicht, dass wir überhaupt nichts zu unserem geistlichen Wachstum beitragen können und uns einfach nur zurücklehnen müssen. Dies ist allein deswegen schon nicht möglich, weil wir nicht nichts tun können. Denn in unserem Leben gibt es eine grundlegende existenzielle Ebene, auf der wir gezwungen sind unser Leben zu führen, auf der wir in gewisser Weise letztlich immer alleine sind und wo es alles andere als gleichgültig ist, wie wir uns zu Gott, zu anderen Menschen und zu uns selbst verhalten.
Vielleicht gilt es vielmehr zu akzeptieren, dass der Kampf in diesem Leben nicht aufhören wird, dass es im Kampf nicht den Kampf zu bekämpfen gilt, dass das Leben eben eine lebenslange Aufgabe ist, die wir im Leben nicht werden beenden können. So lange wir leben, so lange unser Leben noch nicht beendet ist, wird es somit immer auch noch Unerledigtes, Unvollständiges, Unvollkommenes und Brüchiges in unserem Leben geben.
Vieles, ja eigentlich alles in unserem Leben können wir gerade nicht unter Kontrolle bringen. Mein Leben steht nicht nur in der ständigen Gefahr von Schicksalsschlägen: Nichts kann mir garantieren, dass mir nicht in einem unerwarteten Moment ein kaputter Hubschrauber auf den Kopf fällt, oder – weniger absurd – das mein Herz plötzlich stehen bleibt. Darüber hinaus stellen auch andere Menschen eine potentielle ‚Gefahr’ für mich dar, über die ich nicht verfügen kann: Gerade weil wir Menschen so grundlegend aufeinander angewiesen sind, können wir uns gegenseitig so leicht das Leben schwer machen und uns so schnell so tief verletzen. Schlussendlich haben wir uns nicht einmal selbst vollkommen in der Hand: Ich stehe immer wieder mit mir im Kampf (Gefühl vs. Verstand, kurzfristige Wünsche und Bedürfnisse vs. langfristige Ziele, etc.), ohne mich selbst endgültig besiegen zu können bzw. ohne klar zu wissen wo in diesem Kampf ich mich denn nun genau zu verorten habe. All dies zeigt, dass ich gerade nicht in der Lage bin mir ein gelingendes, heiliges Leben auf irgendeine Weise selbst herzustellen. Dies wiederum zeigt mir letztlich nur etwas an, dass ich ohnehin bin: vollkommen abhängig von Gott. Er hat mir dieses Leben geschenkt, er hat mich gemacht und ohne ihn könnte ich nicht eine Sekunde existieren. Daher frage ich mich manchmal, ob mein Versuch mir ein gelingendes, heiliges Leben herzustellen, nicht immer noch der alte menschliche Versuch ist, sich aus Gottes Abhängigkeit zu befreien. Heißt Wachstum denn etwa Entwicklung? Sich aus den ‚Fesseln’ der Abhängigkeit zu ‚ent_wickeln’? Sicher nicht, doch was heißt geistliches Wachstum dann?
„Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren in Amerika mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich möchte ein Heiliger werden (- und ich halte es für möglich, dass er es geworden ist -); das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen.
Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. […]
Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann […], einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist metanoia: und so wird man ein Mensch, ein Christ. Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an Misserfolgen irre werden, wenn man im Diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet?“ Dietrich Bonhoeffer
Auch wenn ich als Christ eigentlich nur zu gut weiß, dass ich letztlich nichts in der Hand habe und dass ich total von Gott abhängig bin, so beobachte ich doch immer wieder, dass ich genau das Gegenteil versuche. Nicht selten verwende ich viel Zeit und Energie für den Versuch mir ein souveränes, gelingendes, erfolgreiches Leben herzustellen. Doch dieser Versuch, ein erfolgreiches, gelingendes, heiliges Leben zu führen, also der Versuch seine eigene Brüchigkeit zu überwinden, ist letztlich doch auch immer der Versuch sein eigenes Leiden in dieser Welt zu überwinden. Und bleibe ich bei diesen Versuchen – an meinem eigenen Leiden in dieser Welt herumzudoktorn – nicht letztlich doch immer in meiner eigenen ‚Zentrik’, meinem ständigen Kreisen um mich selbst, gefangen? Geht es mir dabei letztlich nicht immer nur darum, ein inneres Wohlgefühl zu erlangen? Was Bonhoeffer andeutet, zielt in die gegenteilige Richtung: Bei allen Aufgaben, Fragen, Erfolgen, Misserfolgen, Erfahrungen, Ratlosigkeiten, Widersprüchen und Unsicherheiten im Leben sich Gott vertrauensvoll in die Arme zu werfen und das Leiden Gottes in der Welt, d.h. die Fragen, Erfahrungen, Ratlosigkeiten, Brüchigkeiten, Unsicherheiten, also Leiden der Anderen ernst nehmen. Vielleicht geht es somit in diesem Leben nicht darum mit dem Leben ‚fertig’ zu werden und die Brüchigkeit des Lebens und das eigene Leiden zu überwinden, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit vom eigenen Leiden ab und auf das Leiden der Anderen hin zu richten und somit aus seiner ‚Zentrik’ ein Stück weit auszubrechen.
Dies ist es ja auch was uns Jesus vorgemacht hat. Indem er als Mensch auf diese Erde gekommen ist, hat er sich – in vollem Vertrauen auf und voller Abhängigkeit von Gott – dem unsicheren Charakter des menschlichen Lebens und den Menschen selbst voll hingegeben und sich dabei so verletzlich gemacht, dass er am Ende tödlich verletzt wurde.
Letztlich ist das Leben eben eine ‚lebenslange’ Aufgabe, etwas, dass wir immer wieder aufgeben müssen. Dabei kann es, wie schon angedeutet, gerade nicht darum gehen sich gehen zu lassen, denn auch im Aufgeben ist uns immer etwas aufgegeben. Aufgeben meint somit nichts Passives, sondern vielmehr ein aktives, sich Gott in die Arme werfen.
„Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen.“ Luk. 17, 33
Nach wie vor gute Gedanken. Genieße gerade auch Herrn Kierkegaard, von dem man nicht denkt, dass er schon so lange mit dem Leben fertig ist.
Posted by: Ben | Sep 21, 2005 at 23:23